Mittwoch, 25. November 2020

Mehr zum Verständnis des Rassismusproblems

 Dass der Kameruner Achille Mbembe, ein engagierter Kämpfer gegen Rassismus des Antisemitismus verdächtigt wurde, gibt zu denken. Da Antisemitismus eine Form des Rassismus ist, sollte man annehmen, dass solch ein Verdacht ausgeschlossen ist. 

Aber Rassismus ist ein sehr umfassender Begriff, der keinesfalls auf Diskriminierung wegen einer anderen Hautfarbe begrenzt ist. 

Eine Arbeit von Naika Faroutan über "Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft" ist ein wichtiger Diskussionsbeitrag, der hilft, sich zu erklären, weshalb der Rassismusbegriff sich so ausgeweitet hat und jetzt so schwer zu definieren ist. 

Dort heißt es unter anderem:

"Ab Mitte des 20. Jahrhunderts weitete sich die Perspektive auf Rassismus von individuellen, explizit abwertenden Einstellungen auf eher implizite Vorurteile und Prozesse, Diskurse und subtilere Ausschließungsprozesse aus,[5] die nicht nur von Individuen in Gang gesetzt werden, sondern auf einem breiteren gesellschaftlichen, strukturellen und institutionellen Level Wirkungen entfalten können.[6] Während Sozialpsychologen wie Gordon Allport in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Rassismus in erster Linie als ein individuelles Problem offener Feindseligkeit definierten, das durch Kontakt verringert werden könnte, definierte die Sozialwissenschaft ab Mitte des 20. Jahrhunderts Rassismus als macht- und herrschaftsstabilisierendes, komplexes und ineinandergreifendes System, das auf historische Kontinuitäten zurückgreift und auf Transformationen der Gegenwart adaptiv reagiert.[7]" (Faroutan: "Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft")

Das heißt, vereinfacht gesagt, dass Rassismus nicht erst dann anfängt, wenn jemand wegen seines anderen Aussehens oder seiner Herkunft diskriminiert wird, sondern dass schon ein in der Gesellschaft verbreitetes Gefühl, dass jemand wegen Aussehen oder Herkunft bestimmte Eigenschaften haben müsse, Rassismus bedeute. Denn das kann unbewusst zu Diskriminierung führen und insbesondere dazu, dass man solche Diskriminierung wie selbstverständlich hinnimmt.

Wer von der etwas schwer verständlichen Wissenschaftssprache von Faroutan nicht abgeschreckt wird, kann bei ihr mehr dazu nachlesen. 

In nächster Zeit sollen aber noch weitere Zitate aus dieser Arbeit hier angeführt und in einfacherem Deutsch hier wiedergegeben werden.

Sieh auch:

Rassismus ohne Rassen

Kulturalismus

(Anti-)Rassismus Eine Aufsatzsammlung in "Aus Politik und Zeitgeschichte" 42-44, 12.10.2020

Dossier Antisemitismus

von Jared Diamond 

"In seinem bahnbrechenden Buch weist der amerikanische Biologe Jared Diamond nach, daß nicht konstitutionelle Unterschiede der Menschen, sondern die klimatischen und geographischen Besonderheiten der verschiedenen Erdteile die Ursache für die Verteilung von Armut und Reichtum sind. Er widerlegt damit stichhaltig alle Theorien, denen die Frage nach Rasse zugrunde liegt."

Als Vorschau: Wer ist von Rassismus betroffen?

Rassismus kann auch religiös begründet sein (Juden, Muslime) oder sich auf kulturelle Unterschiede beziehen:

"Rassismus ist also ein gesellschaftliches Ordnungsphänomen, das sich an den jeweiligen historischen Kontext anpassen und weiterentwickeln kann, womit es über Jahre hinweg – jedoch auch zeitgleich – unterschiedliche Formen von Rassismus geben kann.[28] Folgt man dieser Argumentation von Stuart Hall, bedeutet dies, dass es sowohl Rassismus basierend auf religiöser Zuschreibung – zum Beispiel gegen Jüdinnen und Juden oder Muslim*innen – als auch weiterhin kolonialen beziehungsweise postkolonialen Rassismus gegen Schwarze Menschen oder gegen asiatisch gelesene Menschen geben kann. Zudem kann sich Rassismus gegen "Kultur", also traditionale Handlungen oder Werte richten, die tatsächlich gelebt oder auch nicht praktiziert, sondern nur zugeschrieben werden. Genannt werden kann hier der Antisemitismus, der auch ohne religiöse Praxis wirkmächtig sein kann, der Antiziganismus oder auch, historisch gesehen, der antislawische Rassismus, der in Verbindung mit Expansions- und Tötungspolitiken der Nationalsozialist*innen eine koloniale Struktur aufweist, in Teilen aber auch mit Bezug auf die Abwehr bestimmter Nationalitäten geäußert wird. Diese Bezugnahme auf Nationalität – benannt als "Ausländerfeindlichkeit" – kann ebenfalls eine spezifische Eigenart des Rassismus darstellen.

Das Diskutieren unterschiedlicher Ausformungen von Rassismus kann zu sehr kontroversen Debatten führen, da der Methode der Analogie unterstellt wird, sie würde nivellieren und Gleichsetzungen beabsichtigen. So führt zum Beispiel der Vergleich zwischen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit wiederholt zu hitzigen Debatten. Aber auch ein Subsummieren von Antisemitismus unter den Begriff des Rassismus wird infrage gestellt – hier vor allem mit dem Argument, Rassismus sei ein Herabschauen auf Gruppen, während Antisemitismus die Unterstellung einer Überlegenheit der Jüdinnen und Juden umfasse.[29] Dabei wird vergessen, dass zum Beispiel antiasiatischer Rassismus ebenfalls mit philorassistischen Konstruktionen arbeitet – wenn etwa von "den fleißigen Vietnamesen", den rigiden "chinesischen Tiger-Mums" oder vom kollektiven Korporatismus "der asiatischen Welt" die Rede ist. Auch die Debatte, ob Rassismus eigentlich nur für die historische Erfahrung der Versklavung Schwarzer Menschen verwendet werden sollte, und ob deswegen auch nur der auf Hautfarben fokussierte Rassismus beziehungsweise Anti-Schwarze Rassismus die Bezeichnung "Rassismus" tragen sollte, während die Ungleichbehandlung von Muslim*innen, Sinti*zze und Romn*ja und anderen eher als "Diskriminierung" benannt werden müsste, zeigt, welche konzeptionellen Schwierigkeiten der Rassismusbegriff in der postmigrantischen Gesellschaft aufweist, in der mit zunehmenden Aufstiegen und Emanzipationsprozessen marginalisierter Gruppen auch deren Kampf um Sichtbarkeit, Benennung und Politikgestaltung zunimmt.

Die Methode der Analogie dient jedoch vor allem als Vergleich, um Ähnlichkeiten ebenso wie Unterschiede explizit herauszuarbeiten. Selbstverständlich muss klar sein, dass Antisemitismus, Anti-Schwarzer Rassismus oder Muslimfeindlichkeit sich in ihren historischen Erfahrungen und Auswirkungen unterscheiden, dass es den Holocaust in seiner Dimension, Kalkulation und Organisation nicht noch einmal gegeben hat, und dass die Erforschung von Antisemitismus daher spezifisches historisches Wissen und Analysetools braucht. Auch ist es zentral, anzuerkennen, dass Anti-Schwarzer Rassismus und Sklaverei durch eine Geschichte der Gewalt und jahrhundertelange Oppression gekennzeichnet sind, in die auch jüdische und muslimische Händler verwickelt waren. Heißt das aber, dass ein Vergleich von Kolonialrassismus mit Antisemitismus oder mit aktueller Muslimfeindlichkeit und eine Subsummierung dieser Gewaltpraxen unter eine gemeinsame Oberkategorie Diskriminierung oder als spezifische Unterart des Rassismus Täterschaften ignoriere oder den Holocaust relativiere?"

Sieh auch:

Emotionen und Antisemitismus

Barrie Kosky: „Mir soll kein Nicht-Jude mehr sagen, was antisemitisch ist“ Berliner Zeitung, 10.1.22

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