Olaf Bernau: Brennpunkt Westafrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte, München 2022
"[...] B. D. spricht vier Sprachen fließend: Bozo, Fulfulde, Songhai und Bambara. Zudem kann er sich rudimentär in Tamaschek und Französisch verständigen. Diese Sprachen sind keine Dialekte, sie gehören zum Teil unterschiedlichen Sprachfamilien an. Dennoch bewegt sich B. D. leichtfüßig zwischen ihnen. Ich habe das selber mehrfach erlebt, unter anderem 2018, als er bei einem hochgradig erhitzten Streit im Dorf, T. M. stundenlang zwischen Viehhirten (die Fulfulde sprachen) und Ackerbauern (die Bamba sprachen) übersetzt hat. Dass sich B. D. in sechs Sprachen verständigen kann, hat nichts mit Schulbildung zu tun. Denn B. D. hat nie eine Schule besucht. Nein, es ist Ausdruck einer auf Vielfalt und Komplementarität basierenden Lebensweise, wozu auch gehört, dass drei der sechs Sprachen Muttersprachen von B. D. sind. Einmal mehr dürfte deutlich werden, dass das Erklärungsmuster 'ethnischer Konflikt' eine Scheinerklärung ist, oder präziser: ein Mythos. Denn eigentlich müsste erklärt wer/den, weshalb unter bestimmten Voraussetzungen ethnische Identitäten, eine feindliche Ausrichtung gegenüber anderen Identitäten erhalten. In aller Regel hat dies mit handfesten Interessenkonflikten zu tun, wobei es auch passieren kann, das alte Restaurant die Maus reaktiviert werden. Beispielsweise gibt es zwischen Fulbe und Dogon ein jahrhundertealte Konfliktgeschichte, die auch damit zu tun hat, dass bestimmte Fulbe-Gruppen bis Ende des 19. Jahrhunderts Dogon-Dörfer angegriffen und versklavt haben. (S. 48/49)
"Frauen haben in Afrika seit jeher eine starke Position – aller Diskriminierung zum Trotz. Das hat vor allem mit ihrer Rolle als Mutter zu tun, was nicht mit konservativen 'Frau am Herd'- Ideologien in Europa verwechselt werden sollte. Hintergrund ist vielmehr, dass in Afrika 'die Gebärfähigkeit als eine Frage der menschlichen Ökologie, des Überlebens in der Gruppe und der Erhaltung der Gattung privilegiert' wird, wie Omolara Ogundipe-Leslie erläutert. Die starke Position von Frauen wurde nicht nur für vorkoloniale Gesellschaften ausführlich beschrieben, häufig mit der These, dass es erst die Kolonialmächte waren, die den Status von Männern gegenüber Frauen erheblich aufgewertet haben. Auch nach der Unabhängigkeit griffen Frauen immer wieder an entscheidenden Punkten ins gesellschaftliche Geschehen ein, nicht zuletzt in Westafrika: In Guinea führten Marktfrauen im Juni 1977 Massenproteste gegen das Handelsmonopol des Staates an. Am Ende musste das verhasste Regime von Sékou Touré die allmächtige Wirtschaftspolizei auflösen und den Handel umfassend liberalisieren [...] Ähnlich 2014 in Burkina Faso: Auch dort waren es Frauen, die zu Tausenden der schwerbewaffneten Polizei mit Kochlöffeln die Stirn boten und somit maßgeblich dazu beitrugen, dass der Langzeitherrscher Blaise Compaoré rasch zurücktrat. Diesen historischen Erfahrungen entspricht, dass Frauen im Alltag durchaus sichtbar agieren, in Ländern, die Ghana auch als erfolgreiche Unternehmerinnen." (S. 51)
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