In "Humboldt-Forum", einem Magazin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, berichten die italienische Ethnologin Paola Ivanov
und der US-Amerikaner Jonathan Fine in einem Interview (S.22-24)darüber, wie sie die Ausstellung zu Afrika, wie sie ab 2019 im Humboldt Forum zu sehen sein wird, planen. (PI = Paola Ivanov; JF = Jonathan Fine)
[Broschüre zum Humboldt-Forum (pdf)]
Paola Ivanov: Wir
erzählen gleich die richtige Geschichte!
Europa ist einfach nebensächlich. Wir
blicken von Afrika aus. Ein Beispiel
dieser Verflechtungen ist der Indische
Ozean als frühe globalisierte Welt, die
auch die Küste Ostafrikas einschloss. Die
Anrainer des Indischen Ozeans bildeten
schon ab etwa 900/1000 n. Chr. ein Austauschnetzwerk
von Ideen, Menschen und Gütern. Da
verfolge ich dezidiert einen
südlichen Blick. Die Europäer sind die
Eindringlinge, die Fremden. Der Handel
erfolgte weitgehend friedlich - und dann
kamen die Portugiesen mit Waffen.
Haben
Sie für diesen südlichen Blick auch
mit anderen Kuratoren zusammengearbeitet?
pl
Was den Indischen Ozean angeht, hat sich die Forschung ab den
1980er-Jahren entwickelt. Und das war
nie eine eurozentrische Forschung.
Einer ihrer Begründer, AbdulSheriff, mit dem ich mich viel ausgetauscht
habe, kommt zum Beispiel aus Sansibar.
Sie
stellen auch den prächtigen Perlenthron des Herrschers von
Bamum aus. Was kann man von
diesem Objekt über das
Verhältnis zu den deutschen Kolonialbesatzern
erfahren?
Jonathan Fine: Der Thron wurde von dem Vater des Bamum-Königs
Njoya hergestellt, um Macht und Reichtum
des Königreichs zu zeigen. Als die Deutschen dann kamen...
...
die Kamerun von 1884 bis 1918 besetzt
haben ...
JF...
wurden sie von den Bamum-Leuten als
Bedrohung wahrgenommen. Die Deutschen
wollten den Thron haben. Der König hat
verhandelt, und dann hat er ihn den
Deutschen tatsächlich geschenkt. Aber
so ein Geschenk ist nie etwas, was man
nur aus reiner Freude macht...
pl...
sondern eine Gabe, die verpflichtet. Sagt Marcel Mauss.
JF
Dieser Thron ist eine Gabe in diesem Sinne
gewesen. Der König wollte eine politische Allianz mit Deutschland
eingehen. Er wollte sich vielleicht
dem Deutschen Reich wie einem
Fürstenbund
anschließen. Aber die
Deutschen haben die Verpflichtung nicht verstanden - oder sie nicht
verstehen wollen.
Sie
haben Njoya ein empfindliches
Musikinstrument* geschenkt, das
schnell kaputtgegangen ist. Der
König war tief enttäuscht.
pl
Da sieht man die Arroganz der Europäer! Gaben tauscht man auf
gleicher Ebene aus. Kaiser Wilhelm II.
hat den Regenten von
Bamum aber nicht als gleichberechtigt
anerkannt. Das war ja ein Novum, dass
völlig verrückte Europäer kamen und
sagten: Alles gehört uns, das Land, die Wälder, die Ressourcen -
alles.
Wie
gehen Sie generell mit dem Thema Kolonialismus um? Mit dem
Maji-Maji-Krieg, bei dem sich
eine breite Allianz in
Deutsch-Ostafrika gegen die
repressive Besatzung erhob? Oder mit
dem Kolonialkrieg zwischen den deutschen
Truppen und den Völkern der
Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika,
der als Massenmord endete?
pl
Ein Schwerpunkt ist die gläserne Studiensammlung,
in der die Sammlungsgeschichte
thematisiert wird. Wir haben in der
Afrika-Sammlung des Museums etwa 75.000
Objekte. Zwei Drittel davon kamen
während der Kolonialzeit, nicht nur aus
den deutschen Kolonien übrigens. Wir
zeigen, wie die Sammlung im Zuge der
Kolonialeroberung entstanden ist. Andererseits
zeigen wir auch, was alles nicht
gesammelt wurde: Europäische Kleidung
oder aus Indien importierte Stoffe zum
Beispiel, die in Afrika schon lange und
verstärkt im 19. Jahrhundert verwendet
wurden. Stattdessen haben die
Sammler
nach Baststoffen gesucht, weil die
angeblich traditioneller waren. Nur hat
damals niemand mehr Bast getragen! Es wurde also nicht die
Wirklichkeit Afrikas gesammelt,
sondern nur eine
europäische
Vorstellung von Afrika. Aber natürlich
zeigen wir auch die militärische Gewalt
und die brutale Unterdrückung.
JFDer
Kolonialismus wird in jedem Modul
thematisiert. Wir wollen nichts vertuschen oder verharmlosen.
Pl
Benin zum Beispiel: Alle sehr schönen, sehr
wertvollen Bronzen kamen im Zuge der
Zerstörung der Hauptstadt Benins durch
die britischen Truppen nach Europa.
Wie die Bronzen dann in Berlin gelandet
sind - das wird in der von Peter Junge kuratierten
Ausstellung auch erzählt.
Fordert
der König von Benin nun diese Bronzereliefs
zurück?
pI Es gab 2007/8 eine große internationale
Ausstellung zu Benin, und im Katalog dazu
hatte der König von Benin in einem Beitrag
geschrieben, dass er einige Objekte
gern zurückhaben würde. Aber es gab
keine offizielle Rückforderung. Auch der
nigerianische Staat hat keine gestellt.
Der
juristische Aspekt ist das eine: Wurde
etwas rechtmäßig erworben, wurde
es gestohlen? Aber daneben existiert eine große moralische
Grauzone: Waren die
Besatzungsumstände, unter denen das Objekt erworben wurde,
vielleicht so, dass
sie zu einer Rückgabe
verpflichten?
JF
Wir recherchieren in all diesen Fällen die
Umstände, und die Perspektiven der beteiligten
Personen und Institutionen fließen in
die Entscheidung mit ein.
Ich möchte
den Blick noch einmal auf die
Kritik am Humboldt-Forum richten:
Objekte, die größtenteils während der Kolonialzeit nach Berlin
gelangten und nun in einem
wiederaufgebauten Schloss
präsentiert werden - das halten
einige für eine neokoloniale
Geste. Diese Kritiker sehen das Humboldt-Forum
quasi als eine Art Superzeichen der Restauration. Können
Sie dieses Urteil nachvollziehen?
JF
Eine solche Einschätzung beruht meiner
Meinung nach auf einem Missverständnis.
Es gibt tatsächlich Museen, die Objekte
aus der Kolonialzeit unkritisch
präsentieren, sodass sich auf gewisse
Weise der kolonialistische Blick bis
heute fortsetzt - genau das wollen und werden wir nicht tun. Und zu
sagen, alles soll geräumt und
zurückgegeben werden, ist auch
keine Lösung. Denn das hieße, die
Geschichte wegzuwischen. Für mich wäre dieses Wegwischen
eine sehr gefährliche Geste. Wir wollen stattdessen die Chance für
eine kritische und auch selbstkritische Ausstellung nutzen.
Pl
Uns ist wichtig, dass die Sammlungen in
die Stadtmitte kommen, wo sie eine breitere
Rezeption erfahren können, die ihrem
sehr, sehr hohen Wert entspricht. Was die Provenienz angeht: Wir
erforschen die Herkunft aller
Objekte, die im Humboldt-Forum
ausgestellt werden. Das ist manchmal sehr schwierig, aber es wird
nichts verschleiert. Wir wollen einen Perspektivenwechsel betreiben,
weg von der eurozentrischen
Perspektive. Nun, falls einige das
Schloss noch mit der alten Vorstellung
vom Westen und den „anderen", von
the west and the
rest verbinden, dann dekonstruieren
wir diese Vorstellung. Wir hoffen,
dieses Bild auflösen zu können, um
stattdessen die Vorstellung von einer einzigen Welt
wiederherzustellen. Denn das ist, worum
es uns geht."
Dazu auch:
KOLONIALISMUS:Wem gehören die Masken? ZEIT online, 6.6.15
"Das Ethnologische Museum in Berlin, eines der kostbarsten seiner Art, verdankt seinen Bestand in weiten Teilen der kolonialen Gier. Nun soll die Sammlung ins neu erbaute Stadtschloss umziehen. Viele sind darüber alarmiert, und die Frage nach altem Unrecht stellt sich neu."
*Die Wikipedia spricht von einer Kürassieruniform.
Links und Hervorhebungen in den Antworten stammen von Walter Böhme)