Sonntag, 31. Juli 2022

Kunst in Kamerun

"[...] Es ist jetzt neonlila und neongrün in Douala, Kamerun, die Straßenbars schimmern verwegen, und wer sich herumtreibt, kauft nicht ein, sondern tritt in die Nacht hinüber, ins Tosen und Trinken, während wir auf der Suche nach einer bestimmten Hütte in der endlosen Reihe der einstöckigen Behausungen sind. 

Wie alle ist diese vorne offen, kleiner als eine Garage. Sie sieht aus wie eine klitzekleine, unbeleuchtete Koje auf einer Messe für seltsame Dinge. Wir werden erwartet. Kurz fällt die Begrüßung aus, denn der Künstler will endlich anschalten. Es ist Zeit – und was uns dann entgegenschlägt, ist mit dem Wort "Lichtinstallation" nur notdürftig umrissen. Es ist das Gleißen, die Gegen-Nacht, es lodert, strahlt und flimmert, rotiert, nickt und knickt, ein kinetischer Schrein, wenngleich kein religiöser, etwas nachdrücklich und vollkommen Nutz- und Bedeutungsloses, es ist die reine Energie des Ortes.

 Um diese Kunst zu betrachten, fuhr ich in eine Stadt, wo ich Arme und Chancenlose zu sehen bekam, Kinder, die in schmutzigen Tümpeln spielten, viele Kranke. Im Viertel war der Künstler ein bekannter Mann; wochenlang schraubte er mit den Jungs aus den Straßen an diesem Ding herum. Keiner hatte ihn dazu aufgefordert, und niemand förderte sein Projekt. Er hörte sich dumme Fragen an, jetzt kassierte er Schulterklopfen. Er sagte, es spiele keine Rolle, wie er heißt, er wollte ungenannt bleiben. Alle hier hätten Teil an seiner Kunst, die sei nicht sein Eigentum. [...] 

 Es gibt Theaterkunst in Kamerun, Internet- und Videokunst, eine vibrierende Musikszene mit Stars wie Sally Nyolo, es gibt Marilyn Douala Manga Bells Kunstlaboratorium Doual’art, aber es gibt nach wie vor kaum Unterstützung für den Nachwuchs. Unverlässlich bleibt die kulturelle Infrastruktur, und darüber beklagten sich die jungen Kulturleute, die bis heute auf den "informellen Sektor" verwiesen bleiben, das heißt von der Hand im Mund leben. Von Europa wünschen sie sich Zugang zu den Kreativmärkten, sie suchen nach Möglichkeiten, ihre Arbeiten zu präsentieren, und zwar jenseits der "Ethno"-Nische und jenseits einer Vorfestlegung Afrikas als Opfer-Kontinent. Keiner mochte an diesem Vormittag über die koloniale Vergangenheit reden, niemand sprach über die Restitution alter Kunst. Es markierte ihr Selbstwertgefühl, eine Gegenwart zu besitzen und sich geistig dort zu bewegen, wo sie selbst vorkommen. [...] 
Viele in Kamerun misstrauen den europäischen Konzepten von Museum und Archiv. Kultgegenstände öffentlich auszustellen, so die traditionelle Überzeugung, sei der sicherste Weg zu ihrer endgültigen Entweihung. Das Museum und der kulturelle Besitz, argumentieren viele Afrikaner, sei ein staatlicher Gedanke, gerade kein zivilgesellschaftlicher. Die jeweilige Regierung sei am Eigentum der Objekte interessiert, sie demonstriere damit Stärke und Verbundenheit mit der Nation. [...]"

Von    DIE ZEIT, d. 29. Juli 2022

Ein wichtiger Unterschied ist gewiss der zwischen Repräsentationskunst für den Staat und Kunst zur Unterhaltung, Abwechslung und Entspannung für die Bevölkerung.

Am deutlichsten war das bei Architektur für den Fürsten und Musik bei populären Veranstaltungen. Aber auch bildende Kunst zu Millionenpreisen, die als Geldanlage und zugleich als Repräsentation für Banken und andere Superreiche dienen kann, wird man dazu rechnen im Unterschied zum Volksschauspiel, dem Kasperletheater für die Erwachsenen.

Fraglich ist allerdings, ob das als Argument gegen Rückgabe von traditioneller Kunst dienen kann. Bevor ich mehr dazu sagen kann, lasse ich es offen.

Walter Böhme