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Dienstag, 6. Mai 2025

Weshalb gilt Immanuel Kant bei vielen als der wichtigste deutsche Philosoph?

 Da der folgende Text relativ schwierig ist, sind einige Links zur Wikipedia angegeben. Und da die meisten Leser dieses Blogs, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, in einem Land wohnen, wo Französisch Amtssprache ist, führen diese Links zur französischen Wikipedia. Im Anschluss an den Text werden aber auch Links zur deutschen Wikipedia angeführt, weil manche Stichworte nicht in der französischen Wikipedia zu finden sind.* 

Kant gilt bei vielen als der bedeutendste deutsche Philosoph und der wichtigste Vertreter der Aufklärung. Zwar hat er nie längere Reisen gemacht und ist immer in Königsberg (das heute  Kaliningrad heißt und in Russland liegt) und seiner näheren Umgebung geblieben; aber er hat grundsätzlich geklärt, was wir Menschen wissen können und was nicht.

Seine Grunderkenntnis ist: Das, was Menschen über die Welt erfahren und verstehen können, ist von unserer menschlichen Weise, sie wahrzunehmen und darüber nachzudenken, festgelegt und geprägt. Damit hat er etwas Grundsätzliches erkannt, was bis heute nicht umgestoßen worden ist. Und es ist dadurch erhärtet worden, dass wir heute wissen, dass andere Tiere (als das Säugetier Mensch) die Welt ganz anders erfahren und begreifen als wir. Auch sie nehmen Welt wahr und deuten sie, um in ihr erfolgreich zu sein Auch sie kommunizieren miteinander mit strukturierten Signalen, die im wesentlichen so funktionieren wie die menschlichen Sprachen; aber weil sie andere Probleme haben als wir, nehmen sie die Welt anders wahr (zum Beispiel wie die Biene mit Facettenaugen) und reagieren auf die Wahrnehmungen so, wie sie es für ihre Ziele brauchen.

Freilich hat Kant nicht vorausgesehen, wie stark unser Denken in Mathematik dazu führen würde, dass wir Dinge für real halten würden, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Zum Beispiel, dass die Schwerkraft den Raum krümmen kann und dass Raum und Zeit so eng zusammengehören, dass Physiker mit einer einheitlichen Dimension Raumzeit rechnen. Dazu gehört auch, dass nicht alles, was geschieht, eine Ursache haben muss. Im menschlichen Leben suchen wir ja immer nach den Ursachen von Unfällen und  Katastrophen und versuchen, sie zu verhindern, indem wir diese Ursachen vorausschauend beseitigen. Das hat dazu geführt, dass wir vorher Undenkbares entwickeln konnten, wie z.B. das Fliegen in der Luft und die Bewegung durch den luftleeren Raum. Aber die  Quantenmechanik hat dazu geführt, dass wir annehmen müssen, dass es im Bereich der kleinsten Teilchen, dem Mikrokosmos, keine Ursachen gibt, sondern nur Wahrscheinlichkeiten.

Außerdem hat Kant nicht vorausgesehen, wie unser Denken auch außerhalb des mathematisch Erfassbaren durch Sprache beeinflusst ist und wie wichtig Sprachkritik werden würde.

Doch dadurch, dass er aufgezeigt hat, dass menschliche Erkenntnisse auch ohne Erfahrungen über die Wirklichkeit möglich sind, hat er wesentlich dazu beigetragen, Widersprüche zwischen naturwissenschaftlichem und sprachlichem Denken zu vermeiden.

Raumzeitkrümmung

Sprachkritik

Den Anstoß zu diesem Artikel hat der Blog Weltwissen.online mit seinem Beitrag Kant für Einsteiger gegeben, der eine sehr gute Einführung in die Philosophie Kants bietet. Sie ist aber nicht einfach. Wer mehr über Kant erfahren will, kann sich aber auch in dem Artikel der französischen Wikipedia informieren und auf die dort angegebene Literatur zurückgreifen. 

*Dass sogar zwei geographisch und kulturell so eng verbundene Länder zum Thema Philosophie sich so stark unterscheiden, ist ein gutes Beispiel dafür, dass noch viel dafür getan werden muss, um die internationale Kommunikation und die Verständigung über Kulturgrenzen hinweg zu fördern.  Insofern gehört dieser Artikel in ein internationales Kulturaustauschmagazin, wie es die "Nachbarschaft" sein will. 

Sonntag, 20. Dezember 2015

Der kamerunische Philosoph und Historiker Achille Mbembe über Kant und über seine eigene "Kritik der schwarzen Vernunft"

Achille Mbembe: Er ist viele (Achille Mbembe lehrt an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg, 2015 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis)
"Es gibt zwei Kants, die wir in der Gegenwart dringend brauchen. Da ist erstens der Kant, der den Menschen als Wesen mit einer souveränen Vernunft erkennt, auf der das moralische Urteil beruht. Auf diesen Kant sind wir angewiesen, weil die Leidenschaften und Affekte gegenwärtig überhandnehmen wollen und weil in den Krisen der globalisierten Welt zumeist unbegründete Ängste als Alibi für Gewaltexzesse dienen. Aber ebenso sehr brauchen wir den Kant des Ewigen Friedens, weil er der Menschheit als Weltgesellschaft einen Horizont öffnet, auf den wir gemeinsam zugehen müssen, wenn wir nicht in der planetarischen Katastrophe, in Krieg und Terror enden wollen.
Die Idee des ewigen Friedens bedeutet, dass wir uns als Gattung anstrengen können, die Erde unter all ihren Bewohnern, die ihre gemeinsamen Eigentümer sind, gerecht zu teilen. Aus afrikanischer Perspektive heißt ewiger Friede universelles Gemeingut. Dieser Kant ist zwar Europäer, aber darauf kommt es nicht an, er könnte ebenso Afrikaner, Chinese oder Inder sein, denn in allen Kulturen wird sein Gedanke der Weltgesellschaft als Eigentümergemeinschaft in Variationen gedacht. 
Aber dann gibt es leider noch einen dritten Kant, und der bleibt seinen europäischen und deutschen Vorurteilen verhaftet, wie man in seiner Schrift über das Schöne und das Erhabene von 1764 nachlesen kann. Kants Gedanken über die Franzosen zum Beispiel wären durchaus geeignet, die alte deutsch-französische Feindschaft wieder aufflammen zu lassen. Auch das ist Kant: Der ehrwürdige Anspruch des Universalismus scheitert, sobald es konkret wird und man das Gesicht eines Menschen vor sich hat, der so gar nicht ist wie man selbst." (ZEIT online 20.12.2015)

Das Werk Mbembes, für das er den Geschwister-Scholl-Preis erhielt und das auch auf Deutsch erschienen ist:
2013: Critique de la raison nègre. Éditions la Découverte, Paris, ISBN 978-2-7071-7747-6.
2013: Critique de la raison nègre, Éditions la Découverte, Paris, E-Book: ISBN 978-2-7071-7846-6.
2014: Kritik der schwarzen Vernunft, Suhrkamp, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-58614-3.

Bericht über die Preisverleihung mit einer Charakterisierung des Werks
daraus ein Auszug aus Mbembes Dankesrede:
"Afrika ist meine Heimat und nirgendwo auf diesem riesenhaften Kontinent fühle ich mich fremd.
Seine Geschichte ist untrennbar mit der der Welt verbunden. Tatsächlich gibt es keinen Fleck auf der Erde, der nicht ein Stück Afrika, Spuren der Afrikaner, in sich trägt. Und zugleich gibt es keinen Fleck in Afrika, der nicht die Last der ganzen Welt, ihr Leid, aber auch ihren Segen verspürt.
Man könnte gar sagen, das Schicksal unseres Planeten entscheide sich in Afrika, dem großen Weltlaboratorium unserer Zeit.
Von Anfang an wollte ich mit Kritik der schwarzen Vernunft diese Realität sichtbar machen und zugleich die Verheißung aufzeigen, dass Afrika wieder zu seinem eigenen Zentrum finde, wieder zu einem großen, lebendigen Lebensraum werde, der allen und jedem offensteht, und mit dem Rest der Welt gleichzuziehen vermöge."