Doch
wenn er verstehen möchte, weshalb so viele Afrikaner so gar nicht
"heimattreu" sind, weshalb sie große Strapazen, ja ein
monatelanges, manchmal jahrelanges Wanderleben auf sich nehmen, um
endlich an der Mittelmeerküste in das Schlauchboot zu steigen, das
sie nach Europa, dem Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten und
der Freiheit, bringen wird, dann ist "Mambés Heimat" für
ihn der richtige Zugang.
"Nachdem
Mambé 20 Jahre in Amerika verbracht hatte, kehrte er in seine Heimat zurück." So
lautet der erste Satz.
Rückkehr
zum Ort der Kindheit? Eine Welt der Abenteuer? Ein Start-up, das die
alte Heimat "fit für die Zukunft" macht? Was erwartet uns?
Zunächst
einmal Hitze ohne Klimaanlage, halsbrecherische Autofahrten über
von Schlaglöchern durchsiebte Straßen und die allgegenwärtige
Korruption. In Jaunde (Yaoundé) lernt man dann
gesellschaftliches Leben von Kamerun kennen. So in einer der fünf Warteschlangen in der Bank, wo Mambé stundenlang
warten muss, um Geld abholen zu können.
Das
nützt ein "Verrückter" aus, um den Wartenden eine Rede
zu halten. Mit wirtschafts- und regierungskrischen Tönen weckt er
allgemeines Interesse, bis er eine Bombe ankündigt, mit
der er das Land von der Diktatur befreien und sich selbst zum Präsidenten machen will. Auch will er einen Bestseller schreiben, den er bereits im Kopf habe.
Danach
beginnt ein längerer Abschnitt, der in diesem Bestseller des
"Verrückten" stehen könnte. Immer wieder folgen auf kurze
Erlebnisse Mambés reflektierende Passagen, in denen über die
Verhältnisse in Kamerun berichtet wird. So, als der im Hotel im
Kabelfernsehen einen französischen Tierfilm sieht:
"Das kamerunische Fernsehen wäre nicht in der Lage gewesen, eine solche Sendung zu produzieren. Dazu müssten die Journalisten über eine gute technische Ausrüstung verfügen. In der Schule, in der die kamerunischen Journalisten ausgebildet wurden, fand man nur veraltete Geräte. Die meisten davon waren nicht funktionstüchtig. Schlimmer als die schlechte Ausrüstung dieser Schule war die Tatsache, dass sie die Kritikfähigkeit der Menschen unterdrückte. Sie brachte linientreue Journalisten hervor. Das war ihre einzige Aufgabe. [...] Der Staat hatte auch seine eigene Presse. Sie war ebenfalls linientreu. Wenn der Präsident sich ins Ausland begab, erzählte er gern dort, dass die kamerunische Medienlandschaft vielfältig sei. Das stimmte ja auch. Aber wenn er hinzufügte, dass diese Medienvielfalt mit der Pressefreiheit einherging, war es falsch. Denn die privaten Medien unterlagen der Zensur. Ein Journalist, der sich kritisch über die Regierung äußerte, wurde ohne Gerichtsurteil ins Gefängnis geworfen oder gar liquidiert. Gleichzeitig wurde seine Wohnung durchsucht. Es war verboten, sich über den Gesundheitszustand des Staatschefs zu äußern. Der Herausgeber einer Privatzeitung wurde inhaftiert, weil er einmal gesagt hatte, dass der Präsident krank sei. Tatsächlich war dieser krank. Er war nämlich nach Europa gereist, um sich behandeln zu lassen." (S.58/59)
Anschaulich wird es, als Mambé auf Wohnungssuche geht. Mit Maklern macht er bald
übergenug schlechte Erfahrungen. Stets muss er die Gebühr im Voraus
bezahlen und dann bekommt er nie etwas Brauchbares angeboten.
Schließlich sucht er auf eigene Faust in den Vierteln, wo er hoffen
darf, etwas Preisgünstiges zu finden.
Jetzt
streift er durch Gassen, die so eng sind, dass sie den Tag in Nacht
verwandeln, er wird immer wieder in Schwaden von Gestank eingetaucht
und erlebt öffentliches Familienleben.
"Wenn man sich in den Armenvierteln Yaoundés befand, brauchte man nicht lange zu warten, um das, was man dort "kostenloses Theater" nannte, zu sehen. Die Szenen des Dramas spielten sich auf der Straße ab und überboten sich gegenseitig an Sensation und Tragik. In den vornehmen Vierteln dagegen waren solche Geschehnisse eher selten. Ihre Einwohner befanden sich hinter den hohen Mauern, die ihre Villen umgaben, oder in ihren Privatfahrzeugen, deren Fenster meistens aus Rauchglas waren. Die wenigen Probleme, die sie hatten, ließen sie die Passanten nicht mitbekommen. Die Armen hingegen hatten zu viele Probleme und scheuten sich nicht, sie vor aller Augen zu besprechen. Man wanderte durch die Straßen und sah und hörte eine skandalöse Geschichte um die andere." (S.114f.)
Diese
skandalösen Geschichten prägen den letzten Teil des Buches, bis
Mambé sich entschließt, zur Abwechslung mal ein Motorradtaxi zu
besteigen, von dem man freilich nicht viel Gutes gelesen hat.
"Vor ihnen stand ein Haus in Flammen. Fünf Personen waren damit beschäftigt, Wasser aus einem Ziehbrunnen zu schöpfen und es in die aus dem Haus schlagenden Flammen zu schütten. Doch ihre Aktion war wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Einige Kinder weinten. Die schaulustige Menge schrie weiter. Die Brandstifterin war eine Frau von 30 Jahren. Nach ihrer Aktion hatte sie sich aus dem Staub gemacht. Ihr Ex-Freund war unter denjenigen, die das Feuer verzweifelt zu löschen versuchten. Sie hatte das Haus, in dem er wohnte, in Brand gesteckt, weil er sie angelogen hatte. Als sie mit ihm zusammen gewesen war, hatte er ihr häufig gesagt, dass er nur sie liebe und nur sie heiraten würde. Dann hatte er sein Wort gebrochen und eine andere geheiratet." (S.116)
Konventioneller
wäre es, wenn Mbakop uns eine dieser Geschichten ausgestaltet und
möglichst dramatisch erzählt hätte. So aber zeigt er uns eine Art
Dokumentarfilm mit vielen kurzen Szenen und begleitendem intensivem
Geruchskino.
Faszinierend
ist daran die Authentizität. Was uns sonst nur gefiltert durch eine
Übersetzung und entsprechende Bearbeitung erreichen
würde, ist hier der Originalwortlaut des Verfassers. In seiner
Muttersprache gibt es keinen Buchmarkt, er publiziert nur auf Deutsch
und Französisch. Und man darf annehmen, dass in “Mambés Heimat”
einiges von dem eingeflossen ist, was er nach seiner Rückkehr von
einem Studienaufenthalt in Deutschland in seiner Heimat Kamerun
erfahren hat.
Hilaire
Mbakop:
Mambés
Heimat.
Ein Streifzug durch den Alltag Kameruns. Roman, Athena-Verlag, 2007. 172 Seiten, broschiert. ISBN: 978-3-89896-294-0
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