Montag, 24. Dezember 2012

Interview mit Hilaire Mbakop, Wissenschaftler und Schriftsteller aus Kamerun


Nachbarschaft : Es freut uns wirklich sehr, Sie in unserem Magazin herzlich empfangen zu können.
Obwohl wir schon einen Blick auf Ihren Lebenslauf und Ihre Bibliografie geworfen haben, gestatten Sie uns, Sie  zunächst zu fragen, wer Sie eigentlich sind ?



                    Hilaire  Mbakop

Ich bin ein afrikanischer Germanist, Romanist und Schriftsteller. Das Licht der Welt erblickte ich am 28. Februar 1973 und zwar in der Kleinstadt Bangangté, die im Westen Kameruns liegt. Üblicherweise erwähnt der Kameruner seine Ethnie, wenn er über sich redet. Was mich betrifft, ich bin Bamiléké. Ich besuchte die katholische Schule in meiner Geburtsstadt und im Dorf Batchingou. Danach ging ich aufs Gymnasium, wo ich 1992 das Abitur bestand.  Anschließend studierte ich Germanistik und Geschichte an der Universität Yaoundé I. Da ich die Licence-Prüfung als einer der Besten meines Jahrganges abgeschnitten hatte, gewährte mir der Deutsche Akademische  Austauschdienst (DAAD) ein sechsmonatiges Stipendium, das es mir ermöglichte, meine Abschlussarbeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vorzubereiten. Kurz nachdem ich den Magister Artium in meiner Heimat erlangt hatte, flog ich nach Frankfurt am Main zurück, um zu promovieren. Im Juni 2003  erwarb ich den Doktorgrad dort mit einer Dissertation über die politischen Schriften von Heinrich Mann und André Gide. Im selben Jahr kehrte ich nach Kamerun zurück und lehrte ein Semester an der Universität Yaoundé I als freier Mitarbeiter, bevor ich zu schreiben begann. Als ich das sechste Manuskript abgeschlossen hatte, sagte ich mir, es wäre nicht schlecht, wenn ich meine Zeit zwischen meiner schriftstellerischen Arbeit und der Arbeit als Hochschullehrer aufteilen könnte. Also bewarb ich mich um eine Teilzeitstelle an der Universität Yaoundé I und wurde daraufhin eingestellt. Doch kaum dass ich einen Monat unterrichtet hatte, wurde ich entlassen! Momentan bin ich als freier Schriftsteller tätig. Ich habe bereits sieben Bücher veröffentlicht. In meiner Schublade gibt es zwei unveröffentlichte Manuskripte. Einige meiner Schriften sind in französischer, andere in deutscher Sprache verfasst. In meiner Autobiografie „Mon enfance et ma jeunesse“ (Paris, 2010) lasse ich mein Leben von Kindesbeinen bis zum Zeitpunkt Revue passieren, wo ich die erste Auslandsreise antrat.

Nachbarschaft : Die meisten Kameruner sprechen entweder Französisch oder Englisch. Warum haben Sie sich trotzdem entschieden, einige Ihrer Werke in deutscher Sprache zu verfassen?

Mbakop:
Französisch und Englisch sind die beiden Amtssprachen Kameruns. Deutsch und Spanisch dagegen werden in der Sekundarstufe sowie an der Universität unterrichtet. Das alles ist Vorschrift. Aber ein Schriftsteller ist nicht gezwungen, seine Texte in einer Sprache zu verfassen, die den meisten Menschen seines Landes vertraut ist. Das Wichtigste ist, dass er der Sprache kundig ist, in der er schreibt. Meines Erachtens kann er unmöglich ein anspruchsvolles Kunstwerk in einer Sprache hervorbringen, die er nicht gut beherrscht. Momentan kann ich literarische Texte nur deutsch und französisch schreiben. Im Englischen mache ich manchen Fehler, weshalb keines meiner Bücher in dieser Sprache verfasst ist.

Nachbarschaft : Sind Sie von deutscher Literatur beeinflusst worden und wenn ja von wem und in welcher Weise?

Mbakop:
Im Laufe der Diskussion, die es im Anschluss an die Lesung aus meinem Roman „La mort d’un handicapé“ gab, sagte eine Teilnehmerin, dass dieses Werk an Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ denken lasse. Ich war angenehm überrascht, denn diese Bemerkung ist zutreffend. Das bestätigte ich auch. Ich kann auch Siegfried Lenz‘ Roman „Der Verlust“ als eines der Bücher erwähnen, von denen ich beeinflusst worden bin.
Einen Monat später wies eine andere Person darauf hin, man könne eine Parallele zwischen meinem Stück „Das zerstörte Dorf“ und einigen Texten Erich Kästners über das zerstörte Dresden ziehen. Und tatsächlich wurde ich von der Trümmerliteratur beeinflusst. Gerhart Hauptmanns Drama „ Die Weber“ hatte es mir ebenfalls sehr angetan.
Als ich in Deutschland studierte, nahm ich an einem Seminar teil, das „Kindheit und Jugend in den literarischen Texten des 18. bis 20. Jahrhundert“ betitelt war. Ich hielt ein Referat über Peter Weiss‘ „Abschied von den Eltern.“ Dieses Buch fesselte mich so sehr, dass ich beschloss, meine Kindheit und Jugend auch schriftlich zu fixieren. Ich kann hier nicht alle deutschsprachigen Autoren nennen, die mich beeinflusst haben. Ich stelle es den Literaturwissenschaftlern anheim,  die intertextuellen und sogar intermedialen Bezüge in meinem Werk herauszuarbeiten.

Nachbarschaft : Was für Vorstellungen hatten Sie über Deutschland, bevor Sie nach Deutschland kamen?

Mbakop:
Ich dachte, Deutschland wäre ein Eldorado!

Nachbarschaft : Wie hat sich Ihr Deutschlandbild verändert, als Sie in Deutschland gelebt haben?

Mbakop:
Kurz nach meiner Rückkehr aus Deutschland schrieb ich den Roman „Les étrangers noirs africains.“ Ich zog es vor, meine Reiseeindrücke zu einem fiktionalen Werk zu verarbeiten. Die Begeisterung, die vor der Deutschlandreise in mir lebte, machte der Ernüchterung schnell Platz. Die Illusion, der ich mich hingab, resultierte aus vielen Faktoren: Schon am Gymnasium ließen uns die Deutschlehrer in dem Glauben, das Land Goethes sei ein fleckenloses Paradies. Später gaukelten die Dozenten der Universität Yaoundé I uns ein vergleichbares Deutschlandbild vor. Hinzu kommt, dass jede Nummer der Zeitschrift „Deutschland“ zur kostenlosen Mitnahme in der deutschen Botschaft auslag. Für mich war das ein gefundenes Fressen, zumal ich nicht in der Lage gewesen wäre, sie kostenpflichtig zu beziehen. Die glänzenden Fotos, die die Artikel illustrierten, stimmten mich träumerisch. Ich denke,  nur eine realistische Darstellung von Land und Leuten kann den Ausreisewilligen der Dritten Welt helfen, ihre Erwartungen nicht zu hoch zu spannen.

Nachbarschaft : Wie unterscheidet sich Ihre Muttersprache von der deutschen?

Mbakop:
Meine Muttersprache ist Medúmbà. Leider kann ich mich darin aber nur mündlich ausdrücken. In meiner Autobiografie bedauere ich die Tatsache, dass die Schule uns nie die Verwendung der Muttersprache im unterrichtlichen Kontext gestattet hatte. In der Schule wurden alle Fächer auf Französisch unterrichtet, und wir durften nur während der Pause Medúmbà sprechen. Zwar gibt es bereits Schulen und Zentren, wo man seine Schrift lesen lernen kann, aber ich habe noch nicht die Gelegenheit gehabt, einen solchen Kurs zu besuchen.
Wie im Deutschen sind viele Medúmbà-Wörter motiviert, das heißt, der Lernende kann sich leicht die Dinge bildhaft vorstellen, auf die die Vokabeln anspielen. Beide Sprachen enthalten also zahlreiche bilderreiche Ausdrücke.
Wenn man eine zweistellige Kardinalzahl auf Medúmbà aussprechen will, verfährt man genau wie im Deutschen; die letzte Ziffer wird also vor der ersten genannt.
Natürlich gibt es auch Unterschiede. Einer davon ist die Art und Weise, wie man jemanden anredet. Im Gegensatz zum Deutschen, wo man das Anredepronomen „du“ für eine vertraute Person und „Sie“ für einen Fremden bzw. eine Persönlichkeit gebraucht, kennt Medúmbà kein Höflichkeitsfürwort. Das erinnert an das Englische, wo jeder Adressat mit „you“ angesprochen wird, ganz gleich, wer er ist. Eine spezifische Besonderheit meiner Muttersprache ist die Tatsache, dass man selten eine Person mit ihrem Nachnamen anredet. Stattdessen benutzt man ihren Beinamen. Einem Ausländer würde seltsam zumute sein zuzuhören, wie ein Fremdenführer von allen mit einem Namen begrüßt wird, der nicht in seinem Personalausweis steht.

Nachbarschaft : Sind Sie in Ihrer Schreibweise europa- oder eher afrikaorientiert? Wie sehen Sie sich selbst also an?

Mbakop:
Ich verstehe mich als Weltbürger. Natürlich gehöre ich einer bestimmten ethnischen Gruppe und Nation an. Doch angesichts meiner vielseitigen Bildung, meiner Erfahrung und meiner Zukunftspläne glaube ich, ich bin eigentlich eine kosmopolitische Person.
Wie ich vorhin betonte, lege ich beim Schreiben gesteigerten Wert auf den Stil. Ich bin nicht bereit, ein billiges Machwerk zu fabrizieren. Ich benutze die Hochsprache.

Nachbarschaft : Welche Gefühle und Gefühlswerte Ihrer Kindheit und Jugend lassen sich besonders schwer auf Deutsch ausdrücken?

Mbakop:
Was Gefühle im Allgemeinen angeht, habe ich kein Problem, sie auszudrücken. Beim Verfassen der Texte bereiten mir eher bestimmte Pflanzennamen und Spezialitäten Schwierigkeiten, die man nur in Afrika findet und die nicht im deutschen Wörterbuch vorhanden sind. In einem solchen Fall beschreibe ich den Gegenstand, um den es geht, oder ich gebe einfach den ortsüblichen Namen an.
Es gibt auch andere Phänomene, die im deutschsprachigen Raum nicht vorkommen, zum Beispiel das Motorrad als öffentliches Verkehrsmittel. In Kamerun gibt es Motorrad-Taxis in Stadt und Land. Diese Zusammensetzung kommt in meinem Roman „Mambés Heimat“ mehrmals vor. Solche Prägungen tragen zur Erweiterung des deutschen Wortschatzes bei.

Nachbarschaft : Von welchen deutschen Werken halten Sie es für besonders sinnvoll, sie in afrikanische Sprachen zu übersetzen?

Mbakop:
Es würde mich sehr freuen, meine Autobiografie, die Sammlung „Holzfeuermärchen“, das Stück „Das zerstörte Dorf“ sowie das zweibändige Werk „Das Hexagon und seine Mittäter“ in eine afrikanische Sprache übersetzt zu sehen.

Nachbarschaft : Was halten Sie von der neueren afrikanischen Literatur im Allgemeinen und insbesondere von der kamerunischen?

Mbakop:
Die afrikanische wie die kamerunische Literatur ist vielfältig. Sowohl hierzulande als auch in anderen Nationen des Kontinents findet man engagierte Schriftsteller und leider auch solche, die ihre Feder in den Dienst von Diktatoren stellen. Was mich betrifft, ich gehöre zu der erstgenannten Kategorie.

Nachbarschaft : An welche Leser haben Sie bei Ihren Werken gedacht? Richtet sich das Theaterstück an eine andere Zielgruppe als der Roman?

Mbakop:
Alle meine Bücher sind für die Weltöffentlichkeit bestimmt. Wenn ein Buch publiziert wird, kann man es in mehrere Sprachen übersetzen, es sei denn, es steht auf dem Index. Die Inszenierung eines Stückes ermöglicht es sogar den Analphabeten, seine Botschaft zu verstehen. Dasselbe gilt für die Verfilmung eines erzählerischen Werkes.

Nachbarschaft : Hatten Sie bei „Holzfeuermärchen“ deutsche Märchen als Vorbild oder eher andere literarische Texte? Warum haben Sie sich für die Märchenform entschieden?

Mbakop:
Während meines Studienaufenthalts in Deutschland bekam ich von einer Bekannten einen voluminösen Band geschenkt, in dem der deutsche Ethnologe Leo Frobenius erotische Geschichten aus Afrika zusammengestellt hatte. Die Anregung, eine Sammlung von Medúmbà-Märchen  herauszugeben, ging also von Frobenius‘ Geschichten aus. So sammelte ich vom 10. April  bis 31. Mai 2007 die Erzählungen, die drei Jahre später unter dem Titel „Holzfeuermärchen“ erschienen. Wie ich im Vorwort erwähne, versetzten mich viele davon in meine Kindheit zurück, da ich schon als Grundschüler die meisten von Kameraden und Erwachsenen lernte. Bei der Niederschrift ließen sich manche leicht wiedergeben, aber ich musste meine Kreativität ins Spiel bringen, um andere spannender und logischer zu machen.

Nachbarschaft : Könnten Sie Ihre Aussageabsicht in „Das zerstörte Dorf“ formulieren, ohne dass Ihnen das zu platt wird ?

Mbakop:
Das Drama „Das zerstörte Dorf“ straft die Behauptung Lügen, die Welt sei ein planetarisches Dorf. Es zeigt zugleich, dass es Staaten gibt, wo die Herrschenden wünschen, bestimmte Völker vernichtet zu sehen.

Nachbarschaft : Es heißt, das wichtigste Ziel des Märchens bestehe darin, seine Moral dem menschlichen Leben einzuprägen. Glauben Sie, dass Sie dieses Ziel erreicht haben?

Mbakop:
Das Buch ist dazu bestimmt, den Leser oder den Zuhörer zu erbauen und zu unterhalten. Es hilft ihm, gewisse Aspekte der Kultur und Geschichte der Medúmbà-Familie zu verstehen. Jedes Märchen enthält eine Moral. Im Vorwort habe ich die Moral von vier von ihnen ausdrücklich benannt.. Doch jeder Rezipient kann die Geschichten auf seine Weise interpretieren.

Nachbarschaft : Wir bemerken heutzutage, dass die Kameruner wenig Interesse am Lesen haben. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach dieser jämmerliche Sachverhalt erklären?

Mbakop:
Das lässt sich dadurch erklären, dass die überwältigende Mehrheit der Kameruner in bitterer Armut lebt.

Nachbarschaft : Was für Projekte haben Sie für die Zukunft?

Mbakop:
Als Schriftsteller möchte ich in näher Zukunft zwei neue Buchprojekte realisieren, nämlich einen Roman und eine Novelle.
Als Germanist und Romanist hoffe ich, ab Oktober 2014 die Forschung und Lehre wieder aufnehmen zu können.

William CHANTCHO und Walter BÖHME stellten die Fragen.

Homepage von Hilaire Mbakop

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