Freitag, 5. Mai 2023

Tsitsi Dangarembga: Schwarz und Frau

Interview


Das Thema Ihres neuen Buches „Schwarz und Frau. Reflexionen über die postkoloniale Gesellschaft“ sind die Ungleichheiten, die weltweit zwischen Männern und Frauen bestehen. Manche sagen, der Feminismus sei gescheitert.

Es ist richtig, dass schwarze Feministinnen eine kleine, oft bekämpfte Gruppe sind. Für Augenblicke der Bestätigung in ihrem Kampf um Gleichberechtigung müssen die Frauen hart kämpfen. Auch wenn die Mehrheit der Frauen weltweit durch patriarchale Strukturen marginalisiert wird, glaube ich nicht, dass der Feminismus gescheitert ist. Ich denke, was der Feminismus getan hat, ist, dass er eine Möglichkeit geschaffen hat, sich eine andere Welt vorzustellen. Die Vorstellungskraft ist die Quelle des Handelns, und weil wir uns eine andere Welt vorstellen können, können wir für sie handeln. Die Ideen des Feminismus reisen um die Welt, also denke ich, wir befinden uns in einem Prozess der Verbindung vieler Ideen, einschließlich feministischer. Viele junge farbige Frauen aus Afrika, auf dem Kontinent und außerhalb des Kontinents, vertreten selbstbewusst ihre Vorstellungen. Die Welt hat sich verändert, das Internet macht es einfacher, Ideen zu verbreiten, so dass feministisches Gedankengut viel leichter zirkulieren kann.

Sie schreiben in Ihrem Buch über ein erschütterndes Ereignis in Ihrem Leben: Kinder aus Simbabwe wurden nach England gebracht, wo sie in Pflegefamilien aufwuchsen. Das scheint System gehabt zu haben. Auch Sie und Ihr Bruder waren davon betroffen. Wie fühlen Sie sich dabei?

Als ich für das Buch recherchierte, dachte ich zunächst nicht daran, dass es System haben könnte. Es ging um Menschen, die aus Sicht des britischen Imperiums intelligent genug erschienen, zu studieren. Sie wurden nach England gebracht, um später für das Imperium nützlich sein zu können. So verlangte man von meinen Eltern, ihr Zuhause in Südrhodesien zu verlassen. Sie mussten nach London gehen, wo sie ein Stipendium für eine Ausbildung erhalten hatten. Meine Eltern gaben mich in eine Pflegefamilie, in der ich aufwuchs. Ich blieb in der Obhut dieser Menschen. Es war, als würde eine Guillotine auf mich fallen. Ich galt als „schwieriges Kind“. Als ich bei meiner Pflegefamilie lebte, erzählte mir meine Pflegemutter  immer von den anderen Kindern aus Afrika, die sie bereits aufgenommen hatte. Ich wusste also, dass so etwas passierte. Was ich aber nicht wusste, war, dass es ein System war, das vom Kolonialamt eingerichtet worden war, um bestimmte Menschen in den Kolonien zu besseren Interessensvertretern des Imperiums auszubilden. Das habe ich erst bei meinen Recherchen für das Buch herausgefunden. [...]

Der Kolonialismus hat meine Familie auseinandergerissen. Mein Bruder und ich haben aufgrund unserer Erfahrungen bis heute Trennungsängste. Das Zugehörigkeitsgefühl ist gestört, es ist sehr schwer, sich zu Hause zu fühlen, egal wo man ist. Es gibt immer etwas, das einen als untypisch kennzeichnet. Und das ist nicht die einfachste Situation, mit der man leben kann. Ich glaube, dass die meisten Menschen den Wunsch haben, zu einer Gruppe zu gehören, und deshalb ist es eine existenzielle Belastung, wenn man ein Zeichen trägt, das einen als nicht zugehörig kennzeichnet. Ich lebte in einer Gesellschaft, die mich als Mängelwesen konstruierte, als jemanden, der erst ein ganzer Mensch werden musste. Aber es war klar, dass ich diesen Status nie erreichen würde, weil ich einen schwarzen Körper habe. [...]

Die Kolonialzeit hat die Strukturen der Wirtschaft geschaffen, es ist wie ein geistiges Gebäude, das immer in dieser Wirtschaftslandschaft sein wird. Das globale System hat sich ja nicht wirklich geändert, denn wenn man sich China anschaut, dann produzieren die Chinesen im Grunde für diese Niedrigpreiswirtschaft des globalen Nordwestens. Ob sich das ändern wird oder nicht, bevor wir den Planeten komplett zerstören, ist eine offene Frage. Es gab früher Varianten kolonialer Gewalt, man verschleppte die Körper, um sie als Arbeitskräfte auszubeuten. Dann wurden die Rohstoffe ausgebeutet. Was wir jetzt erleben, ist der Braindrain: Das geistige Kapital wird den Ländern in Afrika entzogen. Zum Ressourcenabfluss aus Afrika kommt jetzt China hinzu. Der Überbau, der in der Kolonialzeit in die sozioökonomischen Systeme exportiert wurde, besteht heute weiter. Er ist einer der Gründe für die massive soziale Ungleichheit in den Ländern. Es gibt eine Art Mentalkolonisierung, von der schon Bob Marley sprach, eine Art mentaler Sklaverei. [...]"

("Es gibt eine Art mentaler Sklaverei", FR 27.4.2023)

Tsitsi DangarembgaSchwarz und Frau. Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft.

Rezension des Buches bei dem Kulturmagazin Perlentaucher:

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.2023

Rezensent Fridtjof Küchemann blieb die Luft weg, als er die drei Essays von Tsitsi Dangarembga las. Das liegt zum einen, schreibt der Rezensent, an der vortrefflichen Analyse der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Simbabwe unter Präsident Robert Mugabe, andererseits an den erschütternden Beschreibungen von Dangarembgas Kindheit in Großbritannien, der einstigen Kolonialmacht. Die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, die im vergangenen Herbst in Abwesenheit in ihrem Heimatland zu einer Gefängnisstrafe wegen Aufrührerei verurteilt wurde, weite in den Texten den Blick für die nach wie vor herrschende Politik von Ausgrenzung und Unterdrückung von People of Colour, findet der beeindruckte Küchemann: Dies mache  die Lektüre über den Status Quo von dekolonialistischem Engagement besonders interessant. Wie sich im Politischen das Persönliche spiegele sei selten so deutlich geworden, wie in diesem Buch.

Man kann einen Widerspruch darin sehen, dass beklagt wird, dass Kinder nach Europa gebracht wurden, während heute Flüchtlinge nach Europa wollen und sich darüber beklagen, wenn sie abgewiesen werden.
Andererseits ist beiden Situationen eins gemeinsam: es wird durch die Europäer, die Kolonisatoren, entschieden, und der Wille der Afrikaner wird missachtet.
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