Montag, 26. September 2011

Besuch im Lamida


Es ist aber höchste Zeit, dass wir unsere
Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden,
und hier mit dem Deutschen nicht auf Kosten
der Zerstörung unseres Selbst betreiben.
Kum’a Ndumbe III: „Afrika ist im Aufbruch,
Afrika ist die Zukunft"

Am 4. Mai 2011 haben die Schüler der Abschlussklasse begleitet von ihrem Deutschlehrer das Lamidat von Ngaoundéré besucht. Unter dem Motto „Wenn die Fremdsprache der lokalen Kultur begegnet“ lernen die Schüler, Fremdsprache und eine andre Kultur miteinander zu verbinden. Die Sprache ist das Vehikel der Kultur. Die lokale Kultur wird durch die deutsche Sprache wahrgenommen, in dem alltäglichen Verkehr mit Leuten verwendet und vermittelt. Hier wird die Interkulturalität, eins der Hauptziele des Fremdsprachenlernens, Wirklichkeit. Inter- und Multikulturell lernen und lehren bezieht sich nicht nur auf die Deutsch-Kamerunische Kultur, sondern auch auf die Kamerun-kamerunische Kulturkonstellation. Denn interkulturell handeln setzt Wissen über die Kulturpluralität des Gegenübers und eine reflektierte Haltung zur eigenen Identität voraus.
Schüler als potentielle Kulturträger, Bewohner und Förderer der globalisierten Welt sind alltäglich mit der Realität der interkulturellen Vielfalt konfrontiert.
Der Besuch im Lamidat von Ngaoundéré bringt die Lernenden dazu, das Interesse an der kulturellen Bereicherung ihrer näheren Umgebung zu wecken und eine mögliche Berufskarriere aufzuzeigen, wie zum Beispiel die eines Reiseführers oder eines Kulturingenieurs..
Schüler aus den verschiedenen Regionen stehen manchmal der lokalen Kultur fremd gegenüber. Sie können die Sprache der Gastregion nicht sprechen. Die Sitten und Gebräuche sowie die Lebensweise des Gegenübers sind ihnen fremd. Sie bleiben bei den oberflächlichen oder mit Stereotyp verbundenen Kulturelementen.
So ist unsere jüngere Generation kulturell arm, anstatt die Möglichkeit einer Verbindung zweier Kulturen zu nutzen. Eltern sollten ihre Kinder dabei unterstützen, sich in mehrere Kulturen einzuleben. Wenn die Eltern aber selbst kulturell unbewusst sind, kann dieses lokale Wissen in der Schule erworben werden.
Die Schüler lernen zum Beispiel sich mit einer anderen lokalen Kultur zu versöhnen. Sie erleben, wie man mit kulturellen Gegenständen sowie kulturellen Trägern Kontakt pflegt. Sie lernen auch, wie man den König (Lamido) begrüßt, wie man sich am Hof von Lamida präsentiert: (Man soll barfuß den Hof betreten und die Frauen sollen den Kopf verschleiern). Die traditionelle Macht ist hierarchisch strukturiert. Solche Integrationselemente schaffen ein besseres Verstehen des Anderen besonders in einem Land mit breiter Kulturlandschaft.

„Lamida“, der Wohnsitz des Lamido, ist eine große Wohngemeinschaft mit vielen Abteilungen.
Er wurde vor knapp zweihundert Jahren von Yerima Bello aus Nigeria gegründet. Dieser kam nach Ngaoundéré im Rahmen der Missionierung der Einheimischen zur islamischen Religion eingeführt von Ousman dan Fodio, der Schwarzafrika von Mali bis Nigeria zum Islam bekehrt hatte. Die Herrschaft des Lamido dehnt sich über hunderte Kilometer in der Region bis zur nächsten Herrschaftsgrenze. Häuptlinge, ländliche- und städtische Bevölkerung sind dem Lamido untergeordnet. Seine Macht ist groß: er ernennt verschiedene Häuptlinge, verteilt Land an die Einwohner und schlicht Streit. Er kann die Wahl eines Präsidenten oder die Ernennung eines Oberbeamten beeinflussen. Der Lamido verkörpert die geistliche, die politische und die traditionelle Macht.
Seine Machtausübung und die staatliche Macht verlaufen in einem perfekten Synkretismus. Beide Verwaltungen ergänzen sich bei der Sicherung der sozialen Ordnung und des Friedens. Der Sitz des Lamido ist eine riesige Wohngemeinschaft mit Erfahrungen von Jahrhunderten.

Der Hof hat eine hierarchische Struktur, die dem modernen Staat gleicht. Der „Kaigama Foulbe“ ist steht zum Beispiel unmittelbar unter dem Lamido und gilt als Kanzler. Der “SarkinYaki“ ist der Verteidigungsminister: Er leitet die Armee und garantiert die Sicherheit am Hof. Die „Yerima“, auch Prinzen genannt, sind potenzielle Nachfolger des Lamido. Ganz unten stehen die Untertanen. Es gibt leider keine Möglichkeit von der niedrigen zur oberen Schicht aufzusteigen. Der Hof lässt sich nur langsam von der Moderne beeinflussen. Das Büro des Lamido ist aber hochmodern:
es verfügt über Computer, Klimaanlagen, Telefonanschluss usw. Dem Hofführer fällt es schwer, dem Besucher eine kohärente Geschichte zu erzählen, denn der Hof ist von vielen Verboten geprägt.
Geheimnisse und das Schweigen sind die Säule der traditionellen Macht. Nur dreiviertel des Hofes ist dem Besucher offen. Das private Appartement des Lamido, das von seinen 31 Kindern und die private Appartements seiner vier Frauen sind dem Besucher verschlossen.

Jean Francois BAPACK
Government Bilingual High School Ngaoundéré

Donnerstag, 1. September 2011

Über Scham II

Milgram hat nicht nur ein Experiment über Autorität gemacht, sondern - unbeabsichtigt - auch eines über Scham.

Er schickte Studenten aus, sie sollten im Bus, wenn noch Plätze frei waren, Passagiere auffordern, bitte aufzustehen, sie wollten sich hinsetzen. Er wollte die Reaktion der Angesprochenen testen.
Dann wunderte er sich, weshalb recht viele Studenten von dem Projekt absprangen. Bis ein Student ihm erklärte, es sei gar nicht so leicht, bei dem Projekt mitzumachen.
Milgram probierte es selbst aus. Er ging in einen Bus und nahm sich vor jemanden anzusprechen und aufzufordern, aufzustehen. Es gelang ihm nicht. Schweiß brach ihm aus. Er wischte sich den Schweiß ab und merkte, dass seine Bewegungen fahrig wurden. Da stand eine junge Frau auf und sagte: "Wollen Sie sich nicht setzen?"

Offenbar schämt sich der Durchschnittsmensch mehr, als unverschämt zu gelten, als dass er sich schämt, Menschen zu misshandeln und zu töten, wenn eine Autorität es ihm befiehlt.

Inzwischen wird auf den verschiedensten Bereichen Scham abgebaut. "Das gehört sich nicht." bedeutet nicht mehr ein unbedingtes Tabu. Männer wagen es, sich originell zu kleiden. Frauen stellen immer offener ihren Körper zur Schau. Frauen bahnen offen Partnerbeziehungen an. Manche Männer reden - sogar mit Männern - über Gefühle.
(Freilich - so höre ich - in Beziehungen, wo die Partner schon viele Jahre unverheiratet zusammenleben, da darf sie nicht die Heirat vorschlagen. Gilt da "Das gehört sich nicht" oder ist es die Sorge, der Partner könnte die Bindungsverpflichtung so scheuen, dass er die Beziehung abbricht?)

Chodorkowski berichtet aus dem Gefängnis. Ein 23jähriger wegen Drogenbesitz Verhafteter soll "gestehen", einer Frau die Handtasche weggenommen zu haben. Er war dazu bereit, ...
"bis er die Beraubte sieht. Eine Rentnerin. Kolje sträubte sich. 'Ich habe Ältere nie angerührt, nur Gleichaltrige. Einer Alten das Letzte wegzunehmen - nein das unterschreibe ich nie. Da könnt ihr mich umbringen.'" (Frankfurter Rundschau vom 31.8.11)
Er wird verprügelt. In der Zelle begeht er Harakiri.

Wenn wir uns an die letzten Berichte von Übergriffen Jugendlicher auf Rentnerinnen und Rentner erinnern, so wissen wir, auch diese Schamgrenze wird längst überschritten.