Ja, das ist das Afrika, das wir kennen: Korruption, Elend, Aids, vergewaltigende Soldateska, als Hexen denunzierte Frauen; saufende und prügelnde Ehemänner, die ihre „Zweitbüro“ genannten Geliebten aushalten, welche ihrerseits mit gesundheitsschädlichen Bleichmitteln ihre Attraktivität zu erhöhen suchen; Lehrer, die Zeugnisnoten gegen sexuelle Dienste vergeben, tricksende Potentaten in Palästen und friedliche Frauen in Hütten und auf dem Feld, wo sie sich abschuften, um ihre Kinder durchzubringen. Emmanuel Dongala lässt in seinem sechsten Roman wirklich gar nichts aus.
Was nicht in die Handlung passt, taucht als Rundfunkmeldung auf oder wird der Protagonistin erzählt. Dabei lesen sich Méréanas Erlebnisse schon wie eine Studie über die moderne afrikanische Großstadt. Die dreißigjährige Mutter von zwei Kindern hat das Baby ihrer an Aids gestorbenen Schwester aufgenommen. Ihr Mann hat sie verlassen, weil sie auf Kondomen bestand. Natürlich gibt er ihr kein Geld, obwohl er in höheren Kreisen verkehrt und im feinsten Outfit und neuesten Automodell auftritt. Méréana arbeitet als Steineklopferin, um sich das Geld für die Ausbildung zur Informatikerin zu verdienen. Als kluge Frau, die ihre brillante Schulkarriere wegen einer Schwangerschaft abbrechen musste, und als politisch interessierte Nachrichtenhörerin versteht sie, dass der geplante Flughafenausbau die Schottersteine, die sie herstellt, wertvoller macht, und versucht, einen höheren Verkaufspreis auszuhandeln.
Die Kolleginnen ziehen mit, die Händler reagieren brutal, das ganze wird eine Staatsaffäre, die Méréana in Kontakt mit den Mächtigen bringt. Sie durchschaut die Taktik, mit der man sie kaufen will, und erkennt den Wert weiblicher Solidarität. Diese gipfelt in der grandiosen Totenfeier für die von der Polizei erschossene Batatu, um deren Zwillinge sich die Frauen kümmern. Batatus Schicksal ermöglicht es dem Erzähler, weitere Grausamkeiten auszubreiten und das Krankenhauswesen in schon fast satirischer Weise zu schildern.
Dies alles spielt in einer Stadt, deren Name Dongala nicht nennt, die aber leicht als seine Heimatstadt Brazzaville zu erkennen ist. Sie soll für alle afrikanischen Städte stehen, deren Bewohner sich mit kaputten Straßen, gierigen Polizisten, fehlender Elektrizität und überteuerten Handykarten herumschlagen. So kann sogar noch die Genitalverstümmelung thematisiert werden, die im Kongo nicht praktiziert wird.
Erstaunlicherweise aber ist diese Häufung von Elend weder abstoßend noch ermüdend. Der siebzigjährige Autor, der in den USA lebt, schreibt mit leichter Feder, trifft den Umgangston der Frauen und hat mit Méréana, der „Du“-Erzählerin, eine sympathische Frauengestalt erschaffen, wie sie in der afrikanischen Literatur Tradition haben. Man fühlt sich an den berühmten Roman „Gottes Holzstücke“ von Sembene Ousmane erinnert („Les bouts de bois de Dieu“), der 1960, im Jahr der afrikanischen Unabhängigkeiten erschien und die Rolle der Frauen im Eisenbahnerstreik an der Linie Dakar-Bamako von 1947 erzählt.
Emmanuel Dongala, dessen literarisches Werk schon mehrfach ausgezeichnet wurde, kann sich über einen weiteren Preis freuen. Für « Gruppenfoto am Ufer des Flusses“ bekam er den Virilo- Preis für die „feministische Beschreibung des heutigen Afrika, in dem Armut und Gewalt herrschen, das aber voller Hoffnung und Menschlichkeit ist“ - das Afrika eben, wie wir Europäer es kennen.
Almut Seiler-Dietrich
Bibliographische Angaben:
Emmanuel Dongala : Gruppenfoto am Ufer des Flusses. Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin-Induni. Peter Hammer Verlag 2011. 339 Seiten. 22 Euro.
Zuvor gedruckt in: NZZ, 3.11.2011 unter dem Titel „Afrika, alles inklusive“.