Mittwoch, 16. Januar 2013

Emmanuel Dongala: Gruppenfoto am Ufer des Flusses


Ja, das ist das Afrika, das wir kennen: Korruption, Elend, Aids, vergewaltigende Soldateska, als Hexen denunzierte Frauen; saufende und prügelnde Ehemänner, die ihre „Zweitbüro“ genannten Geliebten aushalten, welche ihrerseits mit gesundheitsschädlichen Bleichmitteln ihre Attraktivität zu erhöhen suchen; Lehrer, die Zeugnisnoten gegen sexuelle Dienste vergeben, tricksende Potentaten in Palästen und friedliche Frauen in Hütten und auf dem Feld, wo sie sich abschuften, um ihre Kinder durchzubringen. Emmanuel Dongala lässt in seinem sechsten Roman wirklich gar nichts aus.

Was nicht in die Handlung passt, taucht als Rundfunkmeldung auf oder wird der Protagonistin erzählt. Dabei lesen sich Méréanas Erlebnisse schon wie eine Studie über die moderne afrikanische Großstadt. Die dreißigjährige Mutter von zwei Kindern hat das Baby ihrer an Aids gestorbenen Schwester aufgenommen. Ihr Mann hat sie verlassen, weil sie auf Kondomen bestand. Natürlich gibt er ihr kein Geld, obwohl er in höheren Kreisen verkehrt und im feinsten Outfit und neuesten Automodell auftritt. Méréana arbeitet als Steineklopferin, um sich das Geld für die Ausbildung zur Informatikerin zu verdienen. Als kluge Frau, die ihre brillante Schulkarriere wegen einer Schwangerschaft abbrechen musste, und als politisch interessierte Nachrichtenhörerin versteht sie, dass der geplante Flughafenausbau die Schottersteine, die sie herstellt, wertvoller macht, und versucht, einen höheren Verkaufspreis auszuhandeln.
Die Kolleginnen ziehen mit, die Händler reagieren brutal, das ganze wird eine Staatsaffäre, die Méréana in Kontakt mit den Mächtigen bringt. Sie durchschaut die Taktik, mit der man sie kaufen will, und erkennt den Wert weiblicher Solidarität. Diese gipfelt in der grandiosen Totenfeier für die von der Polizei erschossene Batatu, um deren Zwillinge sich die Frauen kümmern. Batatus Schicksal ermöglicht es dem Erzähler, weitere Grausamkeiten auszubreiten und das Krankenhauswesen in schon fast satirischer Weise zu schildern.

Dies alles spielt in einer Stadt, deren Name Dongala nicht nennt, die aber leicht als seine Heimatstadt Brazzaville zu erkennen ist. Sie soll für alle afrikanischen Städte stehen, deren Bewohner sich mit kaputten Straßen, gierigen Polizisten, fehlender Elektrizität und überteuerten Handykarten herumschlagen. So kann sogar noch die Genitalverstümmelung thematisiert werden, die im Kongo nicht praktiziert wird.

Erstaunlicherweise aber ist diese Häufung von Elend weder abstoßend noch ermüdend. Der siebzigjährige Autor, der in den USA lebt, schreibt mit leichter Feder, trifft den Umgangston der Frauen und hat mit Méréana, der „Du“-Erzählerin, eine sympathische Frauengestalt erschaffen, wie sie in der afrikanischen Literatur Tradition haben. Man fühlt sich an den berühmten Roman „Gottes Holzstücke“ von Sembene Ousmane erinnert („Les bouts de bois de Dieu“), der 1960, im Jahr der afrikanischen Unabhängigkeiten erschien und die Rolle der Frauen im Eisenbahnerstreik an der Linie Dakar-Bamako von 1947 erzählt.

Emmanuel Dongala, dessen literarisches Werk schon mehrfach ausgezeichnet wurde, kann sich über einen weiteren Preis freuen. Für « Gruppenfoto am Ufer des Flusses“ bekam er den Virilo- Preis für die „feministische Beschreibung des heutigen Afrika, in dem Armut und Gewalt herrschen, das aber voller Hoffnung und Menschlichkeit ist“ - das Afrika eben, wie wir Europäer es kennen.
Almut Seiler-Dietrich

Bibliographische Angaben:

Emmanuel Dongala : Gruppenfoto am Ufer des Flusses. Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin-Induni. Peter Hammer Verlag 2011. 339 Seiten. 22 Euro.

Zuvor gedruckt in: NZZ, 3.11.2011 unter dem Titel „Afrika, alles inklusive“.

Dienstag, 15. Januar 2013

Zur Entwicklung in Mali

Links zu aktuellen Entwicklungen (über Twitter)

Wie kann es in Mali weitergehen? (Kommentar der Frankfurter Rundschau vom 15.1.13)
Hintergrund der Militäraktion in Mali (Spiegel online am 16.1.13 anhand von dpa-Material)
weiteres Material mit Karten


Die eigentliche Aufgabe - faznet (Frankfurter Allgemeine) 8.2.2013 ·


"Die malische Armee war nicht in der Lage, ein paar Hundertschaften aus dem Norden vorstürmender Tuareg, Islamisten und Dschihadisten zu bekämpfen. Stattdessen brechen, kaum ist die Gefahr von französischen Soldaten abgewehrt worden, in der Hauptstadt Bamako wieder Grabenkämpfe (das ist wörtlich zu nehmen) zwischen den militärischen Putschisten und anderen Soldaten aus, die dem vormaligen Regime gegenüber loyal geblieben sind.

Das zeigt, dass die Krise in dem westafrikanischen Land von den Tuareg-Rebellen oder Al Qaida im islamischen Maghreb (Aqim) nicht verursacht, sondern nur ausgebeutet wurde."


Dienstag, 8. Januar 2013

Hilaire Mbakop: Holzfeuermärchen

Wer nach dem zweihundertjährigen Jubiläum von Grimms Märchen zu Weihnachten 2012 noch an Rotkäppchen, Aschenputtel und Schneewittchen denkt, der wird sich über Märchen wundern, die von Panter, Schildkröte und Feldhasen handeln.
In der Tat handelt es sich bei den "Holzfeuermärchen", die Hilaire Mbakop gesammelt hat, nicht um Märchen von Hexen, Prinzen oder Dummlingen, sondern um Volkserzählungen, die oft von Tieren handeln und insofern Fabeln ähneln, und Erzählungen, die in einer völlig anderen Kultur beheimatet sind als die europäischen Märchen (die wir oft als typisch deutsch missverstehen).
Während das Märchen "Aschenputtel" in der Hochzeit mit dem Prinzen sein glückliches Ende findet, findet die Heldin in "Der Häuptling und seine Frauen" ihr Glück darin, dass der Häuptling seine anderen Frauen verstößt.
An die Stelle des bösen Zauberers kann ein "Mann im Anzug" treten und statt in einer Kutsche wird in einem "altersschwachen Taxi" gefahren. Und das Happy End von "Der Schwache und der Starke" besteht darin, dass der Schwache mit seiner Mutter aus seinem Heimatdorf flieht.  (Warum das ein Happy End ist, kann man in "Holzfeuermärchen" nachlesen.)
So fremdartig, wie es auf den ersten Blick scheint, sind diese Märchen freilich nicht. Die Schildkröte, die in keinem von Grimms Märchen zu finden ist, spielt die gleiche Rolle wie der Igel im Märchen von "Hase und Igel". Der Hase freilich ist in diesen Märchen meist so listig, wie in den europäischen Fabeln der Fuchs. Und der Panter spielt eine ähnliche Rolle wie in europäischen Märchen der böse Wolf.

Was ist für mich der besondere Reiz dieser Sammlung?
Die Märchen wurden im 21. Jahrhundert gesammelt.Nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Menschen, die Medúmbà sprechen, die Sprache, in der - bis auf vier - alle Märchen dieser Sammlung erzählt worden sind, beherrscht die Schrift von Medúmbà. Wir haben es also mit Märchen zu tun, die erst zwei Jahrhunderte nach Grimms Märchen verschriftlicht worden sind. Es ist reizvoll, sich zu überlegen, welche Elemente der Märchen erst in neuster Zeit hinzugekommen sind (bei dem Taxi, den "quietschend Reifen", dem "Mann mit dem Anzug" fällt es relativ leicht) und ob auch die Märchen erst recht jung sind. Aber ich frage mich auch, wie weit die anscheinend recht alten Tiermärchen zu den aktuellen Erfahrungen der heutigen Kameruner passen.

So viel ist sicher: Fast alle Märchen sind aus der Sicht von Schwachen erzählt, die sich erhoffen, einmal stärker sein zu können als die, die gegenwärtig mehr Erfolg in der Gesellschaft haben.
Nicht zufällig spielt die Schildkröte in diesen Märchen eine so wichtige Rolle: ein Tier, das langsam ist (also im Wettrennen um Erfolg weniger chancenreich), aber durch seinen Panzer vor Angriffen und vor Verletzungen geschützt ist.
Und was will uns wohl sagen, dass in einem Märchen der Elefant ein Gewehr bekommt, um die Schildkröte zu erschießen, am Schluss aber die Schildkröte das Gewehr in Besitz nimmt?

Diese Sammlung eignet sich also zum Vergleich mit Grimms Märchen, um damit zu einem vertieften Verständnis der eigenen Märchentradition zu verhelfen. Leser, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sollten beachten, dass die Sprachform gelegentlich vom aktuell gebräuchlichen Deutsch abweicht. Für Leser mit der Muttersprache Deutsch entsteht dadurch ein eigentümlicher Reiz.
Der Verdienst, dass Hilaire Mbakop noch im 21. Jahrhundert Märchen gesammelt hat, wird noch deutlicher, wenn man bei den Märchenforschern Turay und Möhlig schon 1989 liest: "In den letzten Jahrzehnten ist die orale Volksliteratur fast überall in Afrika einen stillen Tod gestorben" (A. Taray und W.J.G. Möhlig: Temne Stories, Köln 1989, S.11).
Walter Böhme

Hilaire Mbakop: Holzfeuermärchen, Re Di Roma-Verlag 2010, ISBN 978-3-86870-261-3

Für Lehrer ein Artikel über die pädagogische Funktion von Märchen allgemein.

Samstag, 5. Januar 2013

Sisyphos im Lärm der Stille (von Muepu Muamba)

Man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, sagte Camus.
Muepu Muamba aber ist wütend. Er möchte seinen Stein jemandem an den Kopf werfen, oder, wie es in der „Wut-Rede“ heißt: „Wut euch vor die Füße zu werfen“ – aber wem?
Papst Nikolaus V, der 1455 die Unterwerfung aller Nichtchristen forderte?
Diego Cao, der 1482 das Land an der Kongomündung für Portugal in Besitz nahm?
König Leopold II, der den „Unabhängigen Staat Kongo“ als Privatbesitz ausbeutete?
Den belgischen Kolonialherren?
Oder nicht doch dem Diktator Mobutu, der Muepu wie viele kongolesische Intellektuelle ins Exil trieb?
Oder gar den heutigen Machthabern, die ihm keinen Platz in seiner Heimat, der Demokratischen Republik Kongo, geben?
 Dabei fing alles so gut an. Als Jugendlicher ging Muepu Muamba in Belgien zur Schule und studierte dort. Nach seiner Ausweisung 1968 veröffentlichte er in Kinshasa Gedichte und Erzählungen, die ihren Platz in der Literaturgeschichte haben. Mit einem Freund gründete er dort einen Verlag und wurde zur Frankfurter Buchmesse 1977 eingeladen. Ein mehrmonatiges Praktikum im Klett-Verlag schloss sich an. 1979 war Muepu Muamba Gast beim Horizonte-Festival in Berlin; von dort kehrte er nicht mehr in seine Heimat zurück.
Seine jahrelange Odyssee durch Westafrika und Europa erzählt Muepu ebenfalls in diesem Band, und das ist eigentlich viel spannender als die – wenn auch sehr wortgewaltigen – Schilderungen afrikanischen Elends. „Delirium“ etwa, das Klagelied einer Prostituierten, die Mann und Sohn verlor und nun in ihrem Elend mit Gott hadert, lässt an den Roman „Allah muss nicht gerecht sein“ von Ahmadou Kourouma denken. „Der Teufel muss intelligenter sein als du, Herr“, das ist der Stein, den diese Frau ihrem christlichen Gott vor die Füße wirft. Der Teufel erscheint hier in Gestalt zaïrischen Militärs; er hat wohl auch noch seine Handlanger in der Demokratischen Republik, in die Muepu nicht zurückkehren mag, obwohl er seine Staatsbürgerschaft nie aufgegeben hat. Für die in einem belgischen Gefängnis spielende Erzählung « Zellengemeinschaft » bekam Muepu 1988 einen stattlichen Geldpreis von einer französischen Minderheitenorganisation, die, wenn auch nur ein Bruchteil dieses aus Gewalt-, Sex- und Fäkalsprache gestrickten Textes mit seiner tatsächlichen Erfahrung während der Abschiebehaft im Gefängnis St. Gilles zu tun hat, eigentlich der belgischen Justiz einen Menschenrechtsprozess hätte anhängen müssen.
 Ein anderer wortgewaltiger afrikanischer Schriftsteller, Patrice Nganang aus Kamerun, leitet diese Anthologie mit einem Brief an den Autor ein. Auch er singt das Lied von der „Aushöhlung des Gewissens.“ Die beiden sind sich vor vielen Jahren in einer Frankfurter Straßenbahn begegnet und haben festgestellt, dass jeder seinen Stein zu wälzen hat. Nganang tut das heute erfolgreich – vielleicht sogar glücklich - in den USA, und Muepu Muamba lebt seine Stille im Lärm der Großstadt Frankfurt, die ihm seit zwölf Jahren Ersatzheimat ist. (Almut Seiler-Dietrich)

Muepu Muamba : Sisyphos im Lärm der Stille. Eine Anthologie, hg. von Barbara Höhfeld, mit einem Brief von Patrice Nganang. Heidelberg: Draupadi Verlag 2012, 191 Seiten. 

Diese Rezension von Almut Seiler-Dietrich www.afrika-interpretieren.de ist zuerst in  "Literaturnachrichten" Nr. 114, Herbst 2012 im Druck erschienen.

Donnerstag, 3. Januar 2013

Macht machtloser Frauen


"1989 herrscht in Liberia Frieden. Leymah Gbowee ist 17 und hat ein gutes Leben. Sie ist mit der Highschool fertig, will Ärztin werden. Dem schönen, klugen Mädchen stehen alle Möglichkeiten offen. Ein halbes Jahr später sind alle Hoffnungen zerschlagen. Liberia wird von einem blutigen Bürgerkrieg überrollt. In nur einem Jahr werden 200.000 Menschen getötet. ..."
So beginnt das Video von 3sat über :Leymah Gbowee: "Wir sind die Macht".
Es lohnt sich, den Links nachzugehen, vielleicht besonders dem letzten.

Übrigens, Gbowee erhielt 2011 den Friedensnobelpreis zusammen mit mit ihrer Landsfrau Ellen Johnson Sirleaf und der Jemenitin Tawakkul Karman.