Man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, sagte Camus.
Muepu
Muamba aber ist wütend. Er möchte seinen Stein jemandem an den Kopf werfen,
oder, wie es in der „Wut-Rede“ heißt: „Wut euch vor die Füße zu werfen“ – aber wem?
Papst Nikolaus V, der 1455 die Unterwerfung aller Nichtchristen forderte?
Diego
Cao, der 1482 das Land an der Kongomündung für Portugal in Besitz nahm?
König
Leopold II, der den „Unabhängigen Staat Kongo“ als Privatbesitz ausbeutete?
Den
belgischen Kolonialherren?
Oder nicht doch dem Diktator Mobutu, der Muepu wie viele
kongolesische Intellektuelle ins Exil trieb?
Oder gar den heutigen Machthabern, die ihm
keinen Platz in seiner Heimat, der Demokratischen Republik Kongo, geben?
Dabei fing alles so gut an. Als Jugendlicher ging Muepu Muamba in Belgien zur
Schule und studierte dort. Nach seiner Ausweisung 1968 veröffentlichte er in Kinshasa
Gedichte und Erzählungen, die ihren Platz in der Literaturgeschichte haben. Mit einem
Freund gründete er dort einen Verlag und wurde zur Frankfurter Buchmesse 1977
eingeladen. Ein mehrmonatiges Praktikum im Klett-Verlag schloss sich an. 1979 war
Muepu Muamba Gast beim Horizonte-Festival in Berlin; von dort kehrte er nicht mehr
in seine Heimat zurück.
Seine jahrelange Odyssee durch Westafrika und Europa erzählt Muepu ebenfalls
in diesem Band, und das ist eigentlich viel spannender als die – wenn auch sehr
wortgewaltigen – Schilderungen afrikanischen Elends.
„Delirium“ etwa, das Klagelied einer Prostituierten, die Mann und Sohn verlor und
nun in ihrem Elend mit Gott hadert, lässt an den Roman „Allah muss nicht gerecht
sein“ von Ahmadou Kourouma denken. „Der Teufel muss intelligenter sein als du,
Herr“, das ist der Stein, den diese Frau ihrem christlichen Gott vor die Füße wirft.
Der Teufel erscheint hier in Gestalt zaïrischen Militärs; er hat wohl auch noch seine
Handlanger in der Demokratischen Republik, in die Muepu nicht zurückkehren mag,
obwohl er seine Staatsbürgerschaft nie aufgegeben hat.
Für die in einem belgischen Gefängnis spielende Erzählung « Zellengemeinschaft »
bekam Muepu 1988 einen stattlichen Geldpreis von einer französischen
Minderheitenorganisation, die, wenn auch nur ein Bruchteil dieses aus Gewalt-, Sex-
und Fäkalsprache gestrickten Textes mit seiner tatsächlichen Erfahrung während der
Abschiebehaft im Gefängnis St. Gilles zu tun hat, eigentlich der belgischen Justiz einen
Menschenrechtsprozess hätte anhängen müssen.
Ein anderer wortgewaltiger afrikanischer Schriftsteller, Patrice Nganang aus Kamerun,
leitet diese Anthologie mit einem Brief an den Autor ein. Auch er singt das Lied von
der „Aushöhlung des Gewissens.“ Die beiden sind sich vor vielen Jahren in einer
Frankfurter Straßenbahn begegnet und haben festgestellt, dass jeder seinen Stein zu
wälzen hat. Nganang tut das heute erfolgreich – vielleicht sogar glücklich - in den USA,
und Muepu Muamba lebt seine Stille im Lärm der Großstadt Frankfurt, die ihm seit
zwölf Jahren Ersatzheimat ist. (Almut Seiler-Dietrich)
Muepu Muamba : Sisyphos im Lärm der Stille. Eine Anthologie, hg. von Barbara Höhfeld, mit einem Brief von Patrice Nganang. Heidelberg: Draupadi Verlag 2012, 191 Seiten.
Diese Rezension von Almut Seiler-Dietrich
www.afrika-interpretieren.de ist zuerst in "Literaturnachrichten" Nr. 114, Herbst 2012 im Druck erschienen.
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