Tierno Monénembo ist ein Afropolit,
und das war er schon lange, bevor dieses Wort für Afrikaner, die die
ganze Welt bespielen, erfunden wurde. Als junger Mann floh er vor der
kommunistischen Diktatur in seiner Heimat Guinea: Zu Fuss ging er
nach Senegal, wo er ein Studium der Biochemie aufnahm, das er in Côte
d’Ivoire fortsetzte und in Frankreich mit der Promotion abschloss.
Er unterrichtete in Marokko und Algerien sowie als Gastprofessor in
den USA. Schreibstipendien erlaubten ihm mehrmonatige Aufenthalte in
der Schweiz, in Brasilien und Kuba.
Der Familienverband der Diallos, in den
er 1947 geboren wurde, ist so zahlreich, dass er als Autor ein
Pseudonym vorzieht, in dem ein Wort seiner Muttersprache Fufulde
steckt, nämlich «nenembo» – «Mutter». Unter diesem Namen ist
er einer der erfolgreichsten frankofonen Romanautoren. Schon sein
Erstling «Les crapauds-brousse» wurde 1979 im renommierten Pariser
Verlag Seuil veröffentlicht, wie auch die zehn folgenden Romane, von
denen vier angesehene Preise erhielten.
So unterschiedlich wie Tierno
Monénembos Themen – Diktatoren in Afrika, Leben im Exil,
historische Porträts, auch ein Roman zum Genozid in Rwanda –, so
unterschiedlich ist auch sein Stil: Bald klingt der westafrikanische
Griot durch, der große Helden und ihre Taten besingt, bald
erschweren ausufernde Dialoge und extravagante Anspielungen das
Verständnis. Wohl auch deshalb erschienen bisher nur zwei seiner
Romane auf Deutsch: «Cinema» und «Zahltag in Abidjan», beide in
den 1990er Jahren im Peter-Hammer-Verlag.
Bei Monénembos neuestem, erst 2015
erschienenem Roman griff der Verlag schnell zu: «Kubas Hähne krähen
um Mitternacht» ist ein Spiel mit Klischees und Erwartungen.
Unter
dem Einfluss von Rum und heißen Rhythmen agieren der schlitzohrige
Ignacio, der davon lebt, Touristen zu schröpfen, obskure
Geschäftsleute, die zwischen Restkommunismus und freier
Marktwirtschaft operieren, eine temperamentvolle dunkelhäutige
Schöne, deren Kleiderfarbe auf Zukünftiges verweist, und ein
Milizionär, der überall seine Hände im Spiel hat, aber von seiner
Frau betrogen wird. Zwischen ihnen sucht Tierno Alfredo Diallovogui,
genannt El Palenque, eine Antwort auf die Frage, warum seine
kubanische Mutter ihn als Kind bei seinem Vater in Guinea zurückließ.
Die Fotos des Grabes, das ihres sein
soll, und eine Melodie, die ihm nicht aus dem Kopf geht, sind seine
einzigen Wegweiser. Um nach Kuba zu gelangen, musste er dem
Migrantenpfad folgen, der ihn durch die Sahara und übers Mittelmeer
nach Paris brachte, wo er wundersamerweise weder Dealer noch Müllmann
wurde, sondern ein Feinkostgeschäft aufmachte. Als Tourist fliegt er
nach Kuba, wo ihn Ignacio auf seiner Initiationsreise begleitet.
Zufälle – oder vielleicht das Wirken der Yoruba-Götter, wo nicht
gar des mächtigen Milizionärs – treiben die Handlung voran, die
Ignacio in einem langen Brief dem wieder nach Paris zurückgekehrten
El Palenque erzählt. Das ist nicht immer schlüssig, denn vieles
müsste der Angeschriebene selbst besser wissen. Aber Ignacio kann
wesentliche Ergänzungen liefern, die in die Vergangenheit verweisen:
Castros Begegnung mit einem Gutsbesitzer, dem er das Recht auf sein
Eigentum in einem Dokument garantierte, und den Besuch einer
afrikanischen Delegation in Havanna zu den elften Weltjugendspielen.
Damals, das war 1978, befanden sich
unter den Tausenden Gästen Berühmtheiten wie Miriam Makeba, aber
auch ein Saxofonspieler aus Guinea, der sich in die schöne Kubanerin
Juliana verliebte, ausgerechnet die Tochter jenes Gutsbesitzers, der
Castros Unterschrift aufbewahrt hat und seinerseits auf eine illustre
Familiengeschichte zurückblickt.
«Zu gewissen Zeiten», schreibt
Ignacio dem Freund, «tritt die große Geschichte aus ihrer Sphäre,
hockt sich in die Eckkneipe und stößt mit der kleinen an.» Und was
sich daraus ergibt, ist eine Erzählung wert.
Tierno Monénembo: Kubas Hähne
krähen um Mitternacht. Aus dem Französischen von Gudrun und Otto
Honke. Peter-Hammer-Verlag, Wuppertal 2016.
Almut Seiler-Dietrich
(Erstveröffentlichung: NZZ, 28.12.2016, S. 31.)
(Erstveröffentlichung: NZZ, 28.12.2016, S. 31.)