Mittwoch, 28. Dezember 2016

Tierno Monénembo: Kubas Hähne krähen um Mitternacht

Tierno Monénembo ist ein Afropolit, und das war er schon lange, bevor dieses Wort für Afrikaner, die die ganze Welt bespielen, erfunden wurde. Als junger Mann floh er vor der kommunistischen Diktatur in seiner Heimat Guinea: Zu Fuss ging er nach Senegal, wo er ein Studium der Biochemie aufnahm, das er in Côte d’Ivoire fortsetzte und in Frankreich mit der Promotion abschloss. Er unterrichtete in Marokko und Algerien sowie als Gastprofessor in den USA. Schreibstipendien erlaubten ihm mehrmonatige Aufenthalte in der Schweiz, in Brasilien und Kuba.
Der Familienverband der Diallos, in den er 1947 geboren wurde, ist so zahlreich, dass er als Autor ein Pseudonym vorzieht, in dem ein Wort seiner Muttersprache Fufulde steckt, nämlich «nenembo» – «Mutter». Unter diesem Namen ist er einer der erfolgreichsten frankofonen Romanautoren. Schon sein Erstling «Les crapauds-brousse» wurde 1979 im renommierten Pariser Verlag Seuil veröffentlicht, wie auch die zehn folgenden Romane, von denen vier angesehene Preise erhielten.

So unterschiedlich wie Tierno Monénembos Themen – Diktatoren in Afrika, Leben im Exil, historische Porträts, auch ein Roman zum Genozid in Rwanda –, so unterschiedlich ist auch sein Stil: Bald klingt der westafrikanische Griot durch, der große Helden und ihre Taten besingt, bald erschweren ausufernde Dialoge und extravagante Anspielungen das Verständnis. Wohl auch deshalb erschienen bisher nur zwei seiner Romane auf Deutsch: «Cinema» und «Zahltag in Abidjan», beide in den 1990er Jahren im Peter-Hammer-Verlag.

Bei Monénembos neuestem, erst 2015 erschienenem Roman griff der Verlag schnell zu: «Kubas Hähne krähen um Mitternacht» ist ein Spiel mit Klischees und Erwartungen. 
Unter dem Einfluss von Rum und heißen Rhythmen agieren der schlitzohrige Ignacio, der davon lebt, Touristen zu schröpfen, obskure Geschäftsleute, die zwischen Restkommunismus und freier Marktwirtschaft operieren, eine temperamentvolle dunkelhäutige Schöne, deren Kleiderfarbe auf Zukünftiges verweist, und ein Milizionär, der überall seine Hände im Spiel hat, aber von seiner Frau betrogen wird. Zwischen ihnen sucht Tierno Alfredo Diallovogui, genannt El Palenque, eine Antwort auf die Frage, warum seine kubanische Mutter ihn als Kind bei seinem Vater in Guinea zurückließ.

Die Fotos des Grabes, das ihres sein soll, und eine Melodie, die ihm nicht aus dem Kopf geht, sind seine einzigen Wegweiser. Um nach Kuba zu gelangen, musste er dem Migrantenpfad folgen, der ihn durch die Sahara und übers Mittelmeer nach Paris brachte, wo er wundersamerweise weder Dealer noch Müllmann wurde, sondern ein Feinkostgeschäft aufmachte. Als Tourist fliegt er nach Kuba, wo ihn Ignacio auf seiner Initiationsreise begleitet. Zufälle – oder vielleicht das Wirken der Yoruba-Götter, wo nicht gar des mächtigen Milizionärs – treiben die Handlung voran, die Ignacio in einem langen Brief dem wieder nach Paris zurückgekehrten El Palenque erzählt. Das ist nicht immer schlüssig, denn vieles müsste der Angeschriebene selbst besser wissen. Aber Ignacio kann wesentliche Ergänzungen liefern, die in die Vergangenheit verweisen: Castros Begegnung mit einem Gutsbesitzer, dem er das Recht auf sein Eigentum in einem Dokument garantierte, und den Besuch einer afrikanischen Delegation in Havanna zu den elften Weltjugendspielen.
Damals, das war 1978, befanden sich unter den Tausenden Gästen Berühmtheiten wie Miriam Makeba, aber auch ein Saxofonspieler aus Guinea, der sich in die schöne Kubanerin Juliana verliebte, ausgerechnet die Tochter jenes Gutsbesitzers, der Castros Unterschrift aufbewahrt hat und seinerseits auf eine illustre Familiengeschichte zurückblickt.
«Zu gewissen Zeiten», schreibt Ignacio dem Freund, «tritt die große Geschichte aus ihrer Sphäre, hockt sich in die Eckkneipe und stößt mit der kleinen an.» Und was sich daraus ergibt, ist eine Erzählung wert.


Tierno Monénembo: Kubas Hähne krähen um Mitternacht. Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke. Peter-Hammer-Verlag, Wuppertal 2016. 

Almut Seiler-Dietrich

(Erstveröffentlichung: NZZ, 28.12.2016, S. 31.)

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