Was man in deutschen Zeitungen über Kamerun liest
Gedrängel um Afrikas Prestigeobjekte Frankfurter Rundschau 30.5.2023
Der Viehtransport durch den Logone Fluss wird für den Bootsmann Mbatua nicht mehr lange ein einträgliches Geschäft sein. In der Trockenzeit bekommt er für jedes Rind, das er durch den Fluss treibt, 10 Cent, doch in der Regenzeit einen Euro. Das ist ein mühsames und riskantes, aber auch einträgliches Geschäft, wenn er in Stoßzeiten mit seinen Helfern bis zu 1000 Rinder am Tag durch den Fluss treibt. Sonst ist sein Fährdienst über den Longone zwischen Kamerun und Tschad gefragt, aber nicht mehr lange.
Für 114 Millionen Euro soll eine Brücke über den Fluss gebaut werden. Dies Projekt soll zum Aushängeschild des im Dezember 2021 angelaufenen „Global Gateway“-Programms der EU werden. "Im Rahmen des Mega-Plans will die EU innerhalb von sechs Jahren weltweit 300 Milliarden Euro vor allem in Infrastruktur-Vorhaben leiten – wobei es sich um Hilfsgeld, günstige Darlehen oder auch um Investitionen von Privatunternehmen handeln kann. Das globale Konzept, das vom „Team Europa“ – der EU, den Regierungen der Mitgliedstaaten sowie den Entwicklungsbanken verantwortet wird – soll der Verdrängung und Zersplitterung der europäischen Akteure in Afrika sowie ihrer mangelhaften Reputation entgegenwirken. „Wir leiden unter einem Sichtbarkeits- und Anerkennungs-Defizit“, klagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU): „Viel zu lange scheuten wir vor harten und sichtbaren Infrastrukturprojekten zurück, und überließen den Chinesen das Feld.“
Niemand macht ein Geheimnis daraus, dass das ehrgeizige Programm als Europas Antwort auf das chinesische Jahrhundert-Projekt „One Belt one Road“ zu verstehen ist. In dessen Rahmen will das Reich der Mitte bis zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 2049 weltweit bis zu acht Billionen Dollar in den Ausbau der Infrastruktur pumpen. Das dient vor allem dem Zweck, die Handelswege sowohl für aus China exportierte Waren wie für nach China gelieferte Rohstoffe auszubauen. An Pekings Programm sind mehr als 150 Staaten beteiligt, über eine Billion Dollar hat das Reich der Mitte bereits in den Bau von Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien und Häfen sowie die Verlegung von Glasfaserkabeln investiert.
Pekings Geschäftigkeit brachte die EU-Beamten in Brüssel in Zugzwang. Derzeit tobe ein neuer „Scramble for Africa“, erklärt der EU-Botschafter in Kamerun, Philippe van Damme: Der Jahrzehnte lang an den Rand gedrängte Kontinent ist plötzlich wieder en vogue geworden. Als erstes „Gedrängel um Afrika“ ging die im 19. Jahrhundert vollzogene Aufteilung Afrikas durch die europäischen Kolonialnationen in die Geschichte ein – seitdem hat sich die Herkunft der Drängler verändert. Inzwischen treten vor allem China, aber auch Indien, arabische Länder und die Türkei als Drängler in Erscheinung: Die europäischen Ex-Konkurrenten tun sich zusammen, um bei der Umwerbung des letzten noch weitgehend unentwickelten Marktes nicht ganz verdrängt zu werden. [...] Zumindest in den Augen der Europäer geht es schließlich auch um einen Wettstreit der Systeme, um Demokratie statt Diktatur der Partei, um gute Regierungsführung, Transparenz und das Wohl der Bevölkerung.
Die Verbindung über den Logone-Fluss sei deshalb mehr als nur ein großes Stück Beton, sagt Botschafter van Damme: „Sie ist eine Metapher.“ Ein Sinnbild für Bündelung, Vernetzung und Verbundenheit – mächtige Worte, für die das Global-Gateway-Programm stehe und das es von seinem chinesischen Pendant abheben soll. Europas Staatenbund identifizierte 14 „Korridore“, die als Rückgrat des neuen Konzepts gelten, davon elf in Afrika. Eine der Verbindungen, der „Libreville-N’Djamena-Korridor“, soll Gabuns Hauptstadt der des Tschad näherbringen – und irgendwann sogar den Westen des Kontinents mit dem Osten verbinden. [...]
Außer der Brücke bei Yaguao gehören zum Libreville-N’Djamena-Korridor-Projekt auch der Ausbau der Straße von Libreville über Douala nach Yaoundé, die Beseitigung des notorischen Verkehrschaos in Kameruns Hauptstadt durch eine Umgehungsstraße und die Einführung eines öffentlichen Nahverkehr-Systems sowie der Ausbau der Straße im Tschad bis zur Hauptstadt N’Djamena."
Den Mitarbeitern der "Nachbarschaft" kann solch ein Projekt nicht gleichgültig sein. Schließlich stand am Beginn des Nachbarschaftsprojekts vor 15 Jahren die Zusammenarbeit zwischen Schulen Gabuns, Kameruns und der Elfenbeinküste.
Beim Global Gateway-Programm wird positiv gesehen, dass die europäischen Interessen deutlich ausgesprochen werden. freilich wird auch kritisch angemerkt, dass noch nicht gesichert ist, dass es auch den Bewohnern vor Ort hilft und dass es zur nachhaltigen Entwicklung der Partnerländer beiträgt.