Kommt Ihnen etwas bei dem Folgenden etwas verwunderlich vor:
1. Eine lahme Bettlerin lebt mit zwei anderen Bettlerinnen zusammen und oft reicht das Erbettelte nicht aus, dass sie abends satt werden können. Und trotzdem schickt sie regelmäßig Geld in ihr Heimatdorf und unterstützt damit acht Verwandte.
2. Ein junges Paar ist in eine große Stadt gezogen und hat darüber den Kontakt mit Eltern und Geschwistern verloren. Es kommt schon bald zu bescheidenem Wohlstand. Nach der Lebensplanung befragt, erklärt es: "Wir haben beschlossen, alles zu tun, damit wir als Rentner nicht auf unsere Kinder angewiesen sind."
3. Ein junger Unternehmer verdient etwa das 30-Fache des Durchschnittsverdienstes. Dennoch gelingt es ihm nicht, etwas für den Ausbau seines Unternehmens anzusparen, obwohl er bescheiden lebt. Der Grund ist: Er hat eine große Zahl von Erwachsenen ud Kindern, insgesamt 19, zu unterhalten und unterstützt regelmäßig Bekannte aus seinem Herkunftsdorf.
Wenn Sie sich über den ersten und den dritten Fall wundern, kommen Sie wahrscheinlich aus Europa. Wenn Sie sich über den zweiten wundern, kommen Sie wohl eher aus Afrika.
So sieht es jedenfalls Angela Köckritz in ihrem Artikel "Lieb und teuer" in der deutschen Wochenzeitung Die ZEIT vom 17.6.2021, aus dem diese drei Beispiele entnommen sind. Sie weist darauf hin, dass die Unterschiede zwischen Afrika und Europa weit elementarer seien als einerseits die innereuopäischen und andererseits die innerafrikanischen Unterschiede.
Die Entstehung der Kleinfamilie in Europa sei nämlich nicht erst auf die Industrielle Revolution im 18./19. Jahrhundert zurückzuführen, sondern auf den Übergang von der Antike zum Mittelalter.
So heißt es da:
"Glaubt man dem britischen Sozialanthropologen Jack Goody, wurde die Macht der europäischen Großfamilie schon gebrochen, als die Kirche in der Spätantike ihren Einfluss auf dem Kontinent festigte. Die christliche Moral verdammte Scheidung, Konkubinat und die für Großfamilien typische Heirat unter entfernten Verwandten, sie stärkte das Band der Eheleute – und damit die Kernfamilie. Davon profitierte die Kirche wirtschaftlich, denn ihr wurde nun oft das Vermögen kinderloser Paare oder Witwen überschrieben, das vorher bei Verwandten gelandet wäre."
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