Samstag, 16. Dezember 2023

Deutsch als Fremdsprache und Hilaire Mbakop

 https://deutsch-lernen.zum.de/wiki/Hauptseite


Diese beiden Links verweisen auf Seiten, die die meisten Leser unseres Blogs nicht direkt angehen, denn sie sind für Anfänger beim Deutschlernen und für Lehrer, die Anfänger zu unterrichten haben, gedacht.

Bei der Gelegenheit möchte ich auf einen Kameruner Schriftsteller hinweisen, der jetzt in Deutschland deutsche Muttersprachler in das Verständnis der deutschen Sprache und der deutschen Literatur einführt: Hilaire Mbakop, über den wir in diesem Blog schon mehrfach berichtet haben. Er ist nämlich deutscher und französischer Schriftsteller, obwohl seine Muttersprache Medumba zu den Bamileke-Sprachen gehört. Es ist zu vermuten, dass auch die Mehrheit der Kameruner diese Sprachen nicht kennt. Selbst Mbakop kann in seiner Muttersprache, die auf eine altägyptische Sprache zurückgeht,  nicht schreiben, weil es zur Zeit, als er auf die Schule ging, noch keine Schrift für diese Sprache gab. Deshalb hat er, um viele Kameruner zu erreichen, auf Französisch und Deutsch schreiben müssen.

sieh auch: Deutsch für die Zukunft (Deutsche Sprache in Kamerun): "Wohl in keinem afrikanischen Land wird soviel Deutsch gesprochen wie in Kamerun: von etwa 300.000 Menschen. Deutsch ist angesagt in Kamerun – nicht nur wegen der Möglichkeiten, so einen besseren Job zu bekommen. [...]"

Montag, 4. Dezember 2023

Seminar zur Präsentation des neuen Lehrwerks „Und jetzt WIR“

Am Samstag, dem 18. November 2023, wurde an der Government Bilingual High School Bépanda in der Stadt Douala ein Präsenzseminar veranstaltet.

 Geleitet wurde es von dem Nationalfachberater für Deutsch in Kamerun Cyrille Akoa Ambassa, begleitet von Serge Eke, unter der allgemeinen Koordination der Expertin für Unterricht am Goethe Institut Kamerun Kirsten Böttger. Besucht wurde es von zwanzig Deutschlehrern, die aus verschiedenen Städten der „
Littoral Region“ kamen.

Das Ziel des Treffens war es, das aktualisierte Lehrwerk „Und jetzt WIR“ Band 1 aus dem Hueber Verlag zu präsentieren und sich aus objektiv kritischer Sicht darüber auszusprechen.



Nach den Begrüßungs-worten durch den Nationalfachberater Cyrille Akoa Ambassa an die verschiedenen Teilnehmer, ergriff Serge Eke das Wort, um das neue Lehrwerk im Großen und Ganzen zu präsentieren. Es besteht aus einem Kursbuch und einem Arbeitsbuch, beinhaltet 8 Kapitel. Jedes Kapitel im Kursbuch hat 8 Teile, nämlich Texte, Strukturen, Elemente, Erweiterung, Informationen, Grammatik, Lernwortschatz und Projekte.

Das Lehrwerk richtet sich besonders an Deutschlernende aus dem Sudsahara- Raum und wird unter Mitarbeit verschiedener afrikanischer und deutscher Autoren verfasst. Die afrikanischen Autoren kommen aus Senegal, Simbabwe, Côte d’Ivoire, Kenia, Burkina-Faso, Südafrika. Daraus resultiert die offene, mehrdimensionale und multikulturelle Tragweite des Lehrwerks. Das Kursbuch wird von einem Arbeitsbuch begleitet und bietet eine Vielfalt von Übungen zur autonomen Einzel- , Partner- oder Gruppenarbeit. Es kann also individuell bearbeitet und erfolgreich zur Binnendifferenzierung eingesetzt werden. Das Lehrwerk bietet nach jedem Kapitel auch die Möglichkeit zur Selbstevaluierung und ermöglicht durch die Bereitstellung von digitalisierten Übungen ein selbstständiges Arbeiten mit automatisierter Verbesserung. Innovativ und interessant ist an „Und jetzt WIR“, dass alle Seiten farbig gedruckt sind und mit aktuellen authentischen Bildern veranschaulicht werden.

Leider ist „Und Jetzt Wir“ nicht in Modulen konzipiert. Nach dem Grundprinzip der Präsentation von Lehrwerken im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmensollte ein modernes anerkanntes Lehrmaterial aus Modulen bestehen, die außerdem in Lektionen oder Kapitel unterteilt sind. Bei „Und jetzt WIRist das nicht der Fall.

Das Treffen, das um 9 Uhr anfing, schloss um 17 Uhr. Unser Wunsch wäre, dass das Lehrwerk endlich anerkannt wird und nächstes Schuljahr auf dem Programm steht.


William CHANTCHO, DaF- Lehrkraft, Douala


Montag, 13. November 2023

Afrikanische Philosophie

 Aus einem Interview mit dem senegalesischen Philosophen Souleymane Bachir Diagne* über die Ideen des Ubuntu und anderes, ZEIT 9.11.23

Zunächst räumt Diagne mit zwei in Europa üblichen Missverständnissen auf. Zunächst der Gedanke, das eigentliche Afrika sei nur das südlich der Sahara, dabei gehört die arabische Kultur ganz wesentlich zu Afrika. Und sie hat zwischen der griechischen Philosophie der Antike und der europäischen Aufklärung der Moderne die Verbindung hergestellt, etwa, wenn man an Muslim Averroes denkt, der als umfassender Denker der arabischen Schriftkultur eine Voraussetzung der Renaissance am Beginn der Neuzeit geliefert hat.

Das andere Missverständnis ist, dass afrikanische Philosophie primär mündlich gewesen sei. Dabei sind in Timbuktu "Hundertausendevon Handschriften, die alle Wissenschaften umfassen und bis auf das 12. Jahrhundert zurückgehen."*

Dabei ist durchaus richtig, dass manches, was afrikanische Philosophie ausmacht, schon in einzelnen Wörtern der gesprochenen Sprache zu fassen ist:

"Nehmen Sie das Wort Ubuntu. Heute kennt man es in aller Welt, weil es in dem Südafrika von Nelson Mandela und Desmond Tutu so wichtig war. Die beiden fanden, dass die Weisheit dieses Worts, das aus den Bantusprachen der Zulu und Xhosa kommt, sich eigne, um den politischen Weg zu beschreiben, der aus der Apartheid führt. Denn Ubuntu bedeutet: gemeinsam zu Menschen werden, einander wechselseitig menschlich machen. Mandela und Tutu verwendeten deshalb das Wort Ubuntu im ersten Entwurf der südafrikanischen Verfassung, und im Zeichen dieses Begriffs hat die Wahrheits- und Versöhnungskommission dann gearbeitet."

Dazu passt eine Redensart in der afrikanischen Sprache Wolof:

"Der Mensch ist ein Heilmittel für den Menschen. Nit nitay garbam. Darin steckt das Wort nit, für den einzelnen Menschen, als Kraft. Als in Afrika debattiert wurde, ob die universellen Menschenrechte in afrikanischem Denken wurzeln oder nur eine westliche Erfindung sind, hat der Gedanke dieser Redensart eine zentrale Rolle gespielt. Für die afrikanische Charta der Menschenrechte ist grundlegend, dass das Individuum erst zur unverwechselbaren Person wird, indem die Gemeinschaft ihm Rechte zuschreibt. Aber vielleicht ist es beim Blick auf die gegenwärtige politische Welt vor allem wichtig, die Idee des Ubuntu zu universalisieren: damit wir aus den kriegerischen Stammesideologien herausfinden und gemeinsam zu Menschen werden, einander wechselseitig menschlich machen. Das ist es, was die afrikanische Philosophie der Welt heute zu sagen hat. " (Diagne)

* Diagne (engl. Wikipedia)

* Zur gegenwärtigen Situation: "Etwa 4.200 Exemplare der berühmten Timbuktu-Manuskripte sind von den Rebellen gestohlen oder zerstört worden, jedoch konnten über 300.000 Handschriften in die Hauptstadt Bamako gebracht werden und entgingen so der Vernichtung. Derzeit werden sie digitalisiert und konservatorischen Maßnahmen unterzogen." (Wikipedia)


Donnerstag, 2. November 2023

Verständigung über Kulturgrenzen hinweg: Weiße und Indigene - Gilgamesch und Enkidu

  Neue archäologische Methoden sind von einem indigenen Wissenschaftler eingeführt worden. Carlos Augustoda Silva.* "Der Archäologe unterrichtet seit Beginn des Jahrtausends an der Universität in der brasilianischen Regenwald-Metropole Manaus am Rio Negro.[...] 

"Wir kommen aus Denkschulen, in denen viel auf die Zusammenhänge zwischen allen Lebewesen geschaut wurde."

Er selbst hat sich zum Beispiel einen Namen dadurch gemacht, dass er bei seinen Ausgrabungen den Pfaden bestimmter Ameisenarten folgte, die ihn zu Hohlräumen unter dem Waldboden und damit zu einigen spektakulären Funden führte. Ein ausgegrabenes Tongefäß erzähle für ihn nicht einfach eine Geschichte über prähistorische Menschen, sagt er – sondern über das Leben aller Tiere, Pflanzen, des Bodens, sämtlicher Wesen an diesem Ort. "Sie können das natürlich eine Fundstätte nennen", sagt er. "Aber ich finde eine Gebärmutter vor. Einen Ort, aus dem einmal viel Leben hervorgegangen ist."
 Auf seinem Telefon hat da Silva ein paar Nummern von anderen Forschern mit indigenen Hintergrund gespeichert, die an Universitäten im großen Gebiet des Amazonaswalds arbeiten. Viele sind es nicht, er zählt die Namen an den Fingern seiner rechten Hand ab. "Wir haben noch immer ein Problem mit der akademischen Monokultur", sagt er mit einem Seitenhieb auf die Mehrheitskultur der Weißen, die seine amazonische Heimat mit Bulldozern platt walzen lässt, um Soja- und Maisplantagen daraus zu machen.
Die größte Vielfalt ist bisher in der anthropologischen Forschung entstanden. Auf dem Feld haben sich in Brasilien zuletzt Leute wie Joao Paulo Barreto  Gehör verschafft, ein Schamanensohn aus dem Volk der Tukano: Er regte 2013 einige Aufmerksamkeit mit einer Forschungsarbeit über ein Konzept seiner Heimatkultur, der Wai-Mahsa, Zwitterwesen aus Fisch und Mensch. Die Arbeiten westlicher Wissenschaftler zu dem Thema bezeichnete er als viel zu stark vereinfacht, die bisherige Forschung laufe sogar auf große Missverständnisse heraus.
Seit ein paar Jahren nun bemüht sich Barreto um ein besseres Verständnis zwischen westlichen und indigenen Heilpraktikern, er hat dafür ein Institut in der Anstalt Altstadt von Manaus eröffnet. "Ich glaube, dass ein solcher Dialog möglich ist, aber zuerst muss jede Seite verstehen, worauf das Wissensmodell des Gegenübers basiert", sagt er. Deshalb beteiligt er sich seit 2018 auch an der Herausgabe einer monumentalen Bücherreihe, in der indigene Denksysteme durch indigene Forscher und traditionelle Wissensbewahrer dargestellt werden – eine Volksgruppe nach der anderen." (Thomas Fischermann: Forscher, nicht Handlanger, ZEIT Nr 46, 2.11.2023)

Carlos Augusto da Silva [verkürzte Maschienübersetzung des portugiesischen Textes:] der den Weg der Ausgrabung von Artefakten und Stücken aus der Zeit vor Tausenden von Jahren verfolgte, hat jetzt einen Doktortitel in Archäologie von der Bundesuniversität von Amazonas (Ufam).
Carlos Augusto da Silva, 59, wurde als Sohn eines Fischers und Zimmermanns in der Gemeinde Manaquiri (60 km von Manaus entfernt) im Bundesstaat Amazonas geboren. Seine Großeltern waren indigener Herkunft und gehörten den Volksgruppen der Munduruku und Apurinã an. [...] Ende der 1960er Jahre hatte er als Zimmermannsgehilfe für seinen Vater Clóvis Inácio da Silva (verstorben) an der Erweiterung des Ufam-Campus gearbeitet. In den 1980er Jahren schloss er die Sekundarschule an einer öffentlichen Schule in Manaus ab. Im Jahr 1992 schrieb er sich für den Studiengang Sozialwissenschaften an der Ufam ein.

Nach Abschluss des Studiums der Sozialwissenschaften hätte er eine Karriere in einigen der Bereiche seines Studiums anstreben können, doch als er 1998 den Archäologen Eduardo Góes Neves kennenlernte, einen ordentlichen Professor für brasilianische Archäologie und Mitglied des Museums für Archäologie und Ethnologie an der Universität von São Paulo (USP), bewirkte die Freundschaft und Partnerschaft zwischen den beiden eine Wende in Silvas beruflichem und akademischem Leben. Er begann, den Weg der Archäologie einzuschlagen.
Carlos Augusto da Silva [...] machte 2010 seinen Master in Umweltwissenschaften mit Schwerpunkt Archäologie, ebenfalls an der Ufam. Im Jahr 2013 trat er der Brasilianischen Archäologischen Gesellschaft bei.
In der Amazonas-Archäologie ist Silva einer der Pioniere bei der Bergung alter Graburnen. Er hat bereits mehr als 70 Urnen aus Hinterhöfen, Straßen und öffentlichen Anlagen in Manaus und im Landesinneren von Amazonas geborgen, von denen viele durch den Einfluss der Zeit, des Menschen und die Missachtung des archäologischen Erbes der Stadt durch die Behörden stark beschädigt wurden. 


Schon das älteste Epos der Menschheit handelt von der Begegnung zweier extrem unterschiedlicher Kulturen, von dem sumerischen Herrscher Gilgamesch und dem "Wildmenschen" Enkidu, der mit den Löwen zieht und mit den Gazellen Gras frisst. 
Schamatu, die Dienerin der Göttin Ištar,  lehrt Enkidu die Sprache der Menschen, so dass Gilgamesch und Enkidu, die merken, dass ihnen ein gleich gewaltiger Held gegenüber steht, eine innige Liebesbeziehung entwickeln und es wagen, gemeinsam die größten Gefahren zu bestehen: Gemeinsam sind wir unschlagbar.

Montag, 25. September 2023

Zur Eröffnung des Geraudes Cultural Center

 Bericht über die Zusammenkunft vom 9. September 2023 in Douala

Am Samstag, dem 9. September 2023, wurde am Geraudes Cultural Center, einem Sprachzentrum für die Förderung der deutschen Sprache und Kultur in Douala, ein Treffen veranstaltet. Das Ziel war es, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass das Zentrum eine renommierte Sprachschule für Deutsch werden kann.

Auf der Tagesordnung standen folgende Schwerpunkte:

*Begrüßungsworte der Leiterin Frau Ngoumoun Rose

*Präsentation des Projekts durch den Assistenten Herrn Ngoumoun Georges

*Vorträge der künftigen Sprachberater William Chantcho und Nadia Noukeu

*Reflexionen zu den wichtigsten Zielsetzungen des Sprachzentrums: die Unterrichtseinheiten per Stufe, die Ausbildungsdauer, die Lehrwerke für Lernende und Lehrkräfte.

Teilnehmer:

Frau Rose Ngoumoun (Leiterin)

Herr Georges Ngoumoun (Assistent)

Frau Nadia Noukeu (Fachberaterin)

Herr William Chantcho (Fachberater)

Nach den Begrüßungsworten der Leiterin wurde ein Gebet gesprochen, um sich bei Gott für seine Gnade zu bedanken. Dann präsentierte Herr Ngoumoun dies kulturelle Projekt und dessen Ziele. Danach erläuterten die Fachberater Herr William Chantcho und Frau Nadia Noukeu den Aufbau eines professionellen Sprachzentrums.

Ein professionell anerkanntes Sprachzentrum sollte nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen zu den folgenden Qualifikationsstufen hinführen: A1, A2, B1, B2, C1, C2. Für das Sprachzentum “Geraudes” wurde von den Sprachberatern empfohlen, sich zur Eröffnung auf die Stufen A1 bis C1 zu beschränken. Das Zentrum wird daher am 16. Oktober 2023 mit der Grundstufe A1 beginnen. Zunächst werden innerhalb von 8 Wochen 160 Unterrichtseinheiten angeboten. Dem Unterricht liegt das Lehrwerk Menschen des Hueber Verlags zugrunde. für das von den Lehrkräften ein aktualisierter Lehrplan nach dem kompetenzorientierten Muster erstellt wird.

Das Treffen schloss mit der Hoffnung auf einen erfolgreichen Projektstart. Das nächste Treffen findet am 23. September 2023 statt.

William CHANTCHO, Daf Lehrkraft Douala

Freitag, 8. September 2023

Die erste afrikanische Klimagipfelkonferenz deutet auf eine neue Rolle Afrikas hin

 In Zeiten des Kalten Krieges war Afrika immer wieder Schauplatz von "Stellvertreterkriegen", bei denen die beiden Supermächte USA und Sowjetunion innerafrikanische Konflikte nutzten, um ihre Einflusssphären in Afrika auszudehnen beziehungsweise zu verteidigen. Die Folge war, dass Afrika nicht zur Ruhe kam und seine Chancen zur Entwicklung nicht nutzen konnte. So lautet eine beliebte Deutung der afrikanischen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. und zu Anfang des 21. Jahrhunderts.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der Aufstieg Chinas, die Corona-Pandemie und die allgemeine Erkenntnis, dass der menschengemachte Klimawandel verheerende Folgen für die gesamte Menschheit haben wird, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird, eröffnen eine neue Sicht auf die Situation Afrikas.

Es gibt nicht mehr zwei Blöcke und die "Dritte Welt", deren Staaten nur die Wahl haben, sich einer Seite anzuschließen oder auf sich selbst zurückgeworfen die Folgen des Kolonialismus Stein für Stein beiseite zu räumen.

Der "Globale Süden" hat über die Kooperation der BRICS-Staaten (BrasilienRussland,  Indien,  China und Südafrika) eine Möglichkeit gefunden, manche gemeinsame Interessen deutlich vernehmbar zu vertreten, auch wenn angesichts der vielen Unterschiede zwischen diesen Staaten noch nicht viele Gemeinsamkeiten bestehen. Aber auch ganz Afrika selbst spielt eine neue Rolle. Kein anderer Kontinent hat so viel Potenzial für Solar- und Windenergie, so viele Rohstoffe, die für die Transformation zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft gebraucht werden. Und angesichts der Konkurrenz zwischen den USA und ihrem Juniorpartner Europa einerseits und China andererseits, das Partner für eine zukünftige Führungsrolle sucht, sind plötzlich alle afrikanischen Staaten als Bundesgenossen gefragt.

Wenn beim ersten afrikanischen Klimagipfel Kenias Präsident William Ruto sagte: "Diejenigen, die den ganzen Müll verursacht haben, wollen jetzt die Rechnung nicht bezahlen", kann er darauf verweisen, dass über 90 Prozent von Kenias Strombedarf mit erneuerbaren Energien abgedeckt wird. Hier ist Kenia Vorreiter. Weder USA noch China, weder Europäische Union noch Russland können auf Vergleichbares verweisen. Das gilt auch im Bezug auf Afrika allgemein. Es ist der Kontinent mit 60 Prozent der weltweiten erneuerbaren Energieanlagen, darunter Solar- und Windenergie, Geothermie und Wasserkraft.

"Kein Land soll je wählen müssen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Klimaschutz" so lautet ein Satz in der vorgesehenen Abschlusserklärung für die Konferenz in Nairobi.

"Genau darin liegt die Kernfrage für so viele afrikanische Staaten: Gibt es einen 'grünen Weg' aus der Armut? Ja sagt William Ruto und forderte auf dem Gipfel unter anderem eine globale CO2-Steuer." (sieh: Der grüne Weg aus der Armut, ZEIT 7.9.23, S.7)

Olúfẹ́mi O. Táíwò schreibt dazu: "Wir müssen Leitungen schaffen, die den bisher Entmachteten Vorteile zufließen lassen und diejenigen, die durch die Ungerechtigkeit von gestern bereichert und ermächtigt wurden, dazu bringen, ihren gerechten Anteil an den globalen Belastungen zu übernehmen, die aus den Reaktionen auf die Klimakrise und dem Schutz unseres Lebens auf diesem Planeten erwachsen. " (Greta ThunbergDas Klima-Buch, S.451/452)

Mehr dazu:

Mittwoch, 23. August 2023

Über die Folgen der Corona-Pandemie für Afrika

Ahunna Eziakonwa, die nigeriansche Regionaldirektorin für Afrika des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) berichtet:

Die unmittelbaren Folgen der Pandemie waren für Afrika weit geringer als befürchtet. Kein Gesundheitssystem ist zusammengebrochen und die Zahl der Opfer der Krankheit blieb dank der durchschnittlich weit jüngeren Bevölkerung deutlich niedriger als in Europa und den USA.

Verheerend sind aber die mittelbaren Folgen. Vor allem der Mangel an Geld. Denn international Unterstützungsprogramme wurden erheblich zusammengestrichen.  Aber einen Vorteil hatte es: Den nationalen Eliten wurde erstmals klar, wie die Mehrheit ihrer Landsleute lebt. Die Reichen flogen zur Behandlung von Krankheiten einfach ins Ausland. Als das wegen der Grenzschließungen nicht mehr ging, wurde ihnen bewusst, wie schlecht die nationalen Gesundheitssysteme ausgestattet waren. Plötzlich flossen Investitionen in das Gesundheitswesen. 

Freilich der allgemeine Mangel an Geld hatte auf anderen Gebieten verheerende Auswirkungen. Die Impfprogramme gegen andere Infektionskrankheiten, z.B. Polio, Masern, Hepatitis, Tuberkulose brachen zusammen, allein 2021 gerieten weitere 39 Millionen Menschen in extreme Armut, nicht zuletzt wegen des ausfallenden Tourismus. (sieh: die Auswirkungen für die Hotelmanagerin Junaice Mollel in unserem früheren Artikel)

Doch das führte dazu, dass soziale Sicherungssysteme ausgebaut oder in mehreren Fällen sogar erst aufgebaut wurden. In Togo gelang es, in kurzer Zeit, durch bargeldlose Zahlungen per Handy zu leisten. 

Freilich mussten sich so während der Pandemie die Staaten weiter verschulden. Das ist deshalb so schwerwiegend, weil afrikanische Staaten auf dem gewerblichen Kreditmarkt fünfmal höhere Zinsen zahlen als der Rest der Welt. 

Afrika wird bis 2025 rund 425 Milliarden Dollar zusätzliches Geld brauchen. Das ist freilich ziemlich genau der Betrag, den es in fünf Jahren durch illegale Finanzabflüsse verliert. 

Um die Folgen dieser Entwicklung zu beseitigen, müsste Afrika sich auf lokale Produktion umstellen. 

Zitat Ahunna Eziakonwa:

"Die Welt kann es sich nicht leisten, internationale Solidarität und Multilateralismus aufzugeben. Wenn die Pandemie uns eines gelehrt hat, dann das. Wir sind jetzt in einer Ära des aufgeklärten Eigeninteresses. Egal ob es um den Klimawandel, die Pandemie, die Weltwirtschaft oder die menschliche Sicherheit geht. Wenn also Deutschland als Vorsitzender der G7 die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung ins Zentrum seiner Politik stellen würde, hätte es alle nötigen Antworten."

(Covid-19 war in Afrika ein Weckruf, ZEIT 21.2.22)


Samstag, 22. Juli 2023

Begegnung über Kulturgrenzen hinweg: Tansania und Norwegen 2. Teil

Von dem, was in dem vorhergehenden Artikel über die Gesprächspartnerinnen berichtet wurde, ist Juanice Mollel und Janicke Kernland vor ihrem Videokontakt nur ihre Seite bekannt. So beginnt ihr Gespräch tastend. 

Die Norwegerin fragt, die Tansanierin antwortet:

Was ist mit dem Klimawandel? Macht er sich schon in der Serengeti bemerkbar?

Die Landschaft dort habe sich in kürzester Zeit wahnsinnig verändert, sagt Junaice Mollel, allerdings auch wegen des unmittelbaren Handelns der Menschen. "Ich war zuletzt 2019 da, und als ich es jetzt gesehen habe, konnte ich es kaum glauben. So viele Zelte und Unterkünfte! Bald gibt es mehr Camps als Tiere."

 Ob auch Tansanier Safaris machen, will Janicke Kernland als Nächstes wissen.

 "Eigentlich ist es nicht so unsere Kultur, in den Busch zu gehen, um Tiere anzugucken", antwortet Junaice Mollel. 

Ein kurzes Zögern – was könnte man noch besprechen? Bevor die Stille zu groß wird, füllt Janicke Kernland sie: "Also, ich habe bei dieser Frage, ob hartes Arbeiten immer zu einem besseren Leben führt, mit Ja geantwortet. Aber das war vielleicht eine arrogante Antwort. Das habe ich aus meiner privilegierten Perspektive geschrieben."

Junaice Mollel: "Ich habe mit Nein geantwortet, weil ich so viele Menschen hier kenne, die hart arbeiten und es trotzdem nicht schaffen, ihrer Familie Essen auf den Tisch zu stellen. Würde ich meinen Job verlieren, würde ich sofort auf null zurückfallen." Sie erzählt vom Vater, von den Schlägen, dem Hunger. Auf der anderen Seite des Bildschirms ist es ganz still. Wegen der Erfahrungen mit ihrem Vater habe sie auch bei der Frage zur Geschlechtergerechtigkeit mit Nein geantwortet, sagt Junaice Mollel. "Natürlich sollen Frauen und Männer gleiche Chancen haben." Allerdings trage ein Mann, der eine Familie hat, eben eine besondere Verantwortung. Er sei der Versorger, er stehe in der Pflicht, er müsse das Essen nach Hause bringen. "Mein Vater hat das nicht getan." In Tansania gebe es einen großen Unterschied zu Europa: Der Mann bestimme das gemeinsame Leben in der Familie. "Wenn Männer so gerne Männer sein wollen, sollen sie sich auch so verhalten."

 Janicke Kernland sagt, sie verstehe, warum Junaice die Frage mit Nein beantwortet habe. In Norwegen sei das alles ganz anders. "Es gibt hier per Gesetz Gleichberechtigung." Jeder habe die gleichen Rechte, egal ob Mann, Frau, trans. 

Junaice Mollel: "Transgender! Davon muss man hier gar nicht erst anfangen. Das ist komplett neu für uns."

Janicke Kernland: "Und wenn man seine Kinder schlägt, kann man bei uns ins Gefängnis kommen."

Junaice Mollel:  "Wie hast du denn dann deine Kinder diszipliniert?" 

"Ich habe geschrien!"  Großes Gelächter.

Junaice Mollel: "Das Gesetz sollte man lieber nicht nach Tansania bringen ..." 

Junaice hat klare Vorstellungen darüber, wie sie ihr weiteres Leben gestalten will. Zwei Kinder haben und ihnen die beste Mutter sein: Nur vor einer Sache fürchte sie sich dabei: "Dass ich mich für den falschen Mann entscheide."

Nach dem zögernden Beginn kommt es jetzt - entgegen den vorherigen Erwartungen der beiden Frauen zu einem engagierten flüssigen Austausch. 

3084 Menschen aus 116 Ländern haben bei dem Experiment "The World talks" in ähnlicher Weise miteinander gesprochen: "Um möglichst diverse und globale Gesprächspaare zu bilden, haben wir darauf geachtet, dass kein Land mehr als 40 Prozent der Teilnehmenden stellt. Ein Algorithmus fand letztlich für 3.084 Menschen einen Gesprächspartner – 1.542 Gegensatzpaare, die möglichst weit voneinander entfernt wohnen und möglichst unterschiedlicher Meinung sind. Rund 57 Prozent von ihnen sind Männer, knapp 41 Prozent Frauen. Das Durchschnittsalter liegt bei 42 Jahren." (ZEIT ONLINE 25.6.23)

Samstag, 24. Juni 2023

Ein Experiment: Persönliche Begegnung über alle Kulturgrenzen hinweg

 Die Wochenzeitung Die ZEIT hat in der Aktion "The World Talks" Tausende Menschen, die einander völlig fremd sind, dazu gebracht, ausführlicher miteinander zu sprechen.

https://www.zeit.de/2023/27/the-world-talks-frauen-tansania-norwegen

Es geht dabei darum, dass Menschen in völlig unterschiedlichen Lebenssituationen sich bereit erklären, miteinander zu sprechen, um die andere Person besser zu verstehen. Das soll dazu helfen, dass sie nicht nur eine andere Kultur besser verstehen, sondern darüber auch ganz allgemein lernen, wie man sich über Kulturgrenzen hinweg verstehen kann.

Das ist in großem Maßstab das, was sich in kleinerem Maßstab im Juli 2008 Evariste Fosong in Gabun und Franziska Götz in Deutschland mit dem "Magazin für internationalen Kulturaustausch Nachbarschaft" vorgenommen haben. Es begann mit hektographierten Blättern und wurde ab September 2009 auch ins Internet übertragen.

Weil wir die gleiche Zielsetzung verfolgen wie das Projekt der ZEIT, wollen wir den Bericht über das erste solche Gespräch (sieh ZEIT vom 22.6.23) hier vorstellen:

Der ZEIT-Artikel berichtet vom Gespräch einer 30-jährigen Frau aus Tansania mit einer 67-jährigen Frau aus Nordnorwegen, wo gegenwärtig die Mitternachtssonne scheint.

Junaice Mollel aus Tansania ist am 11.5.1993 am Stadtrand von Arusha in einem Stall geboren und über ein Ausbildungsprogramm für Teenager  aus mittellosen Familien, in der Fachrichtung Tourismus zur Hotelmanagerin in Arusha aufgestiegen.

Janicke Kernland, * 27. Juni 1966 in Park Ridge, Illinois, USA ist das Kind norwegischer Auswanderer, der Vater Berater für ein amerikanisches Metallunternehmen, die Mutter Journalistin. Janicke lebt jetzt in der Kleinstadt Mosjøen und ist Direktorin der dortigen Heimatmuseen.

Junaice hat ihren Geschwistern die Ausbildung finanziert, der Bruder wurde Polizist, die Schwester Lehrerin. Das hat sie durchgehalten, auch als sie während der Corona Zeit deutlich weniger verdiente, weil der Tourismus damals zusammen brach.

Möglich wurde das nur, weil sie ständig mehr als andere gearbeitet hat, um ihrer Familie zu helfen. Ihre Schulausbildung konnte dazu nur wenig beitragen. Ihre Klasse hatte 100 Schüler, der Schulweg dauerte eine Stunde hin und eine zurück. Hausaufgaben gab es keine, individuelle Förderung gar nicht. Als Leistungsantrieb hatte ihr Vater für sie Folgendes vorgesehen: Wenn sie am Ende des Halbjahres zu den zehn besten gehörte, bekam sie eine Cola und ein Stück Kuchen. Wenn sie schlechter war, gab es so viele Schläge, wie es dem Platz entsprach: 12 beim12. Platz, 13 beim 13. Als sie mit elf Jahren auf den 40. Platz kam, also 40 Schläge. Die wurden, weil sie noch jung war, auf vier Tage verteilt.

"Böse sei sie ihrem Vater deswegen nicht. Seine Kinder zu schlagen, sagt Junaice Mollel, sei in Tansania noch immer normal. 'Er hat einen Stock genommen, der nicht so wehtat.' Andere Dinge, die er tat, wiegen schwerer. Dass er manchmal mit härteren Gegenständen zuschlug, so fest, dass die Haut aufplatzte und Narben blieben. Dass er, nachdem er den kleinen Laden verkauft hatte, nicht mehr arbeiten wollte und Junaice und ihre Geschwister von der Hilfsorganisation World Vision ernährt werden mussten. [...] Und trotzdem, das sei ihr wichtig zu betonen, liebe sie ihren Vater, er sei ihr bester Freund und wichtigster Ansprechpartner. Fragt man Junaice Mollel, ob sie nie daran gedacht habe, mit ihm zu brechen, schaut sie einen verständnislos an. " (ZEIT 22.6.)

Janicke kannte in ihrem Leben keinen wirklichen Hunger. 

"Als sie aufwuchs, bedeutete Familie für sie nie etwas anderes als Geborgenheit und Freiheit. 'Mein Vater hat immer gesagt: Wenn dir etwas Spaß macht, dann bist du gut darin, und wenn du gut in etwas bist, dann wirst du immer Arbeit haben.' Ihre Eltern hätten ihr viel gegeben, sagt sie, aber auch viel gefordert. Was genau – schwer zu sagen. Vielleicht waren es die stillen Erwartungen, die eine Kindheit voller Chancen weckt: gute Noten schreiben, einen guten Job finden, glücklich werden.

Als sie 14 war, trennten sich die Eltern. Der Vater lernte eine Frau aus Hongkong kennen, die Mutter einen schwedischen Piloten. Patchworkfamilie, Stiefeltern, noch mehr Reisen: Abu Dhabi, Florida, die Bahamas, die Cayman Islands, das Great Barrier Reef. Alles, noch bevor Janicke Kernland 18 wurde. In New York heiratete sie ihren Jugendfreund. Danach wechselten sie mehrmals das Land, in dem sie arbeiteten. Mal im Interesse des Mannes, mal im Interesse der Frau. In Nordnorwegen in einem kleinen Ort Heimatmuseen zu betreuen, entspricht ganz ihrem Interesse.

Und in ihrer Freizeit fahren sie und ihr Mann am liebsten auf eine Insel: nur 10 Häuser, keine Straßen, kein fließend Wasser. Fast nur Birken, Felsen und ringsum Wasser. Möglichst viel Natur, möglichst wenig Zivilisation. 

Auf die Frage: Was macht Sie glücklich? antwortet Juanice: Meine Familie.

Janicke  antwortet: Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden zu verbringen. Dass es meinen Kindern gut geht. Ich liebe die Jahreszeiten. ...

Auf die Frage: Was macht sie unglücklich? sagt Junaice: Meine Familie zu verlieren

Janicke: Globale Instabilität. Klimawandel. Umweltverschmutzung. Der Platz, den wir Menschen einnehmen. Der Anstieg der Energiekosten und die Gehälter im Museum. ...

Zeit für eine kurze Reflexion: Junaice hat es in ihrem Leben viel schwerer gehabt als Janicke. Aber auf die Frage, was sie unglücklich macht, hat Janicke viel mehr zu sagen. Freilich auch auf die Frage, was sie glücklich macht. (Ihre beiden Antworten sind, um die Leser nicht zu langweilen, stark gekürzt.) Janickes Familie ist, schon als sie 14 war, zerbrochen. Weshalb erwähnt sie das nicht in ihrer langen Liste und schreibt erst erst nach vielem anderen: "Ich habe Angst, dass ich nicht genug für meine alternden Eltern tue." Warum?

"Das Leben in Norwegen war Anfang der Siebzigerjahre für viele Menschen noch schlicht und hart. Doch das sollte sich bald ändern. Denn man begann, in der Nordsee Öl und Gas zu fördern.

Rein materiell betrachtet ist zumindest Norwegen heute ein sehr viel besserer Ort als in der Vergangenheit. Sich selbst versorgt das Land fast ausschließlich mit nachhaltiger Energie aus Wind- und Wasserkraft. Das Öl und das Gas verkauft es ins Ausland, dort werden sie verbrannt, wodurch CO₂ in die Atmosphäre gelangt. Das ist schlecht fürs Klima, aber gut für die norwegische Wirtschaft. Die fossilen Energiequellen pumpen so viel Geld in den Staatshaushalt, dass sie den meisten Einwohnern ein gutes Leben ermöglichen. Die Schulen sind umsonst, die Universitäten und Büchereien. In einer durchschnittlichen norwegischen Grundschule kommen auf einen Lehrer 13 Kinder. Der Staat verwaltet für seine Bürger einen Pensionsfonds, über eine Billion Euro schwer, jeder Norweger und jede Norwegerin besitzt allein dadurch mehr als eine Viertelmillion Euro in Aktien und Anleihen.

Junaice Mollel in Tansania sieht von dem Geld natürlich nichts, sie ist schließlich keine Bürgerin Norwegens. Sie sieht etwas anderes: was das CO₂ mit ihrer Heimat macht. Sie sieht, wie der Schnee auf dem Kilimandscharo von Jahr zu Jahr weiter schmilzt. Wie der Victoriasee, Afrikas größter See überhaupt, austrocknet. Wie sich die Serengeti aufheizt, wie Ernten ausfallen und Starkregenfälle zunehmen und Malariamücken sich vermehren. Obwohl die Tansanier pro Kopf und Jahr nur 0,21 Tonnen CO₂ ausstoßen, spüren sie die Folgen des Klimawandels deutlich mehr als Janicke Kernland in Norwegen. Dort emittieren die Menschen trotz all der nachhaltigen Energie im Durchschnitt 7,57 Tonnen CO₂.

Junaice Mollel weiß nichts vom Reichtum Norwegens, von dessen Schatz aus Öl und Gas. Mit Klimapolitik, sagt sie, kenne sie sich nicht aus. Sie findet nur, dass die reichen Länder, die die Erde so verschmutzen, Ländern wie Tansania, die darunter leiden, helfen sollten. Darin ist sie sich mit Janicke Kernland einig, die sogar noch einen Schritt weiter geht. Ihrem Land gehe es gut genug, sagt sie, dem Klima ganz und gar nicht. Janicke Kernlands Forderung: Norwegen solle zwar nicht sofort die gesamte Ölförderung stoppen, aber keine neuen Felder mehr erschließen." (ZEIT vom 22.6.23)

Der Bericht wird in einem Folgebeitrag fortgesetzt.

Zur Rolle der Frau in Afrika vgl. auch den Blogartikel: Schwarz und Frau

Zu der Forderung, die reichen Länder sollten mehr für die Länder tun, die unter dem Klimawandel leiden, sieh in unserem Blog: Klimareparationen und in Greta Thunberg: "Das Klima-Buch".


Dienstag, 30. Mai 2023

Statt Stellvertreterkriegen Wettstreit um Prestigeobjekte

 Was man in deutschen Zeitungen über Kamerun liest

Gedrängel um Afrikas Prestigeobjekte Frankfurter Rundschau 30.5.2023

Der Viehtransport durch den Logone Fluss wird für den Bootsmann Mbatua nicht mehr lange ein einträgliches Geschäft sein. In der Trockenzeit bekommt er für jedes Rind, das er durch den Fluss treibt, 10 Cent, doch in der Regenzeit einen Euro. Das ist ein mühsames und riskantes, aber auch einträgliches Geschäft, wenn er in Stoßzeiten mit seinen Helfern bis zu 1000 Rinder am Tag durch den Fluss treibt. Sonst ist sein Fährdienst über den Longone zwischen Kamerun und Tschad gefragt, aber nicht mehr lange.

Für 114 Millionen Euro soll eine Brücke über den Fluss gebaut werden. Dies Projekt soll zum Aushängeschild  des im Dezember 2021 angelaufenen „Global Gateway“-Programms der EU werden. "Im Rahmen des Mega-Plans will die EU innerhalb von sechs Jahren weltweit 300 Milliarden Euro vor allem in Infrastruktur-Vorhaben leiten – wobei es sich um Hilfsgeld, günstige Darlehen oder auch um Investitionen von Privatunternehmen handeln kann. Das globale Konzept, das vom „Team Europa“ – der EU, den Regierungen der Mitgliedstaaten sowie den Entwicklungsbanken verantwortet wird – soll der Verdrängung und Zersplitterung der europäischen Akteure in Afrika sowie ihrer mangelhaften Reputation entgegenwirken. „Wir leiden unter einem Sichtbarkeits- und Anerkennungs-Defizit“, klagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU): „Viel zu lange scheuten wir vor harten und sichtbaren Infrastrukturprojekten zurück, und überließen den Chinesen das Feld.“

Niemand macht ein Geheimnis daraus, dass das ehrgeizige Programm als Europas Antwort auf das chinesische Jahrhundert-Projekt „One Belt one Road“ zu verstehen ist. In dessen Rahmen will das Reich der Mitte bis zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 2049 weltweit bis zu acht Billionen Dollar in den Ausbau der Infrastruktur pumpen. Das dient vor allem dem Zweck, die Handelswege sowohl für aus China exportierte Waren wie für nach China gelieferte Rohstoffe auszubauen. An Pekings Programm sind mehr als 150 Staaten beteiligt, über eine Billion Dollar hat das Reich der Mitte bereits in den Bau von Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien und Häfen sowie die Verlegung von Glasfaserkabeln investiert.

Pekings Geschäftigkeit brachte die EU-Beamten in Brüssel in Zugzwang. Derzeit tobe ein neuer „Scramble for Africa“, erklärt der EU-Botschafter in Kamerun, Philippe van Damme: Der Jahrzehnte lang an den Rand gedrängte Kontinent ist plötzlich wieder en vogue geworden. Als erstes „Gedrängel um Afrika“ ging die im 19. Jahrhundert vollzogene Aufteilung Afrikas durch die europäischen Kolonialnationen in die Geschichte ein – seitdem hat sich die Herkunft der Drängler verändert. Inzwischen treten vor allem China, aber auch Indien, arabische Länder und die Türkei als Drängler in Erscheinung: Die europäischen Ex-Konkurrenten tun sich zusammen, um bei der Umwerbung des letzten noch weitgehend unentwickelten Marktes nicht ganz verdrängt zu werden. [...] Zumindest in den Augen der Europäer geht es schließlich auch um einen Wettstreit der Systeme, um Demokratie statt Diktatur der Partei, um gute Regierungsführung, Transparenz und das Wohl der Bevölkerung. 

Die Verbindung über den Logone-Fluss sei deshalb mehr als nur ein großes Stück Beton, sagt Botschafter van Damme: „Sie ist eine Metapher.“ Ein Sinnbild für Bündelung, Vernetzung und Verbundenheit – mächtige Worte, für die das Global-Gateway-Programm stehe und das es von seinem chinesischen Pendant abheben soll. Europas Staatenbund identifizierte 14 „Korridore“, die als Rückgrat des neuen Konzepts gelten, davon elf in Afrika. Eine der Verbindungen, der „Libreville-N’Djamena-Korridor“, soll Gabuns Hauptstadt der des Tschad näherbringen – und irgendwann sogar den Westen des Kontinents mit dem Osten verbinden. [...] 

Außer der Brücke bei Yaguao gehören zum Libreville-N’Djamena-Korridor-Projekt auch der Ausbau der Straße von Libreville über Douala nach Yaoundé, die Beseitigung des notorischen Verkehrschaos in Kameruns Hauptstadt durch eine Umgehungsstraße und die Einführung eines öffentlichen Nahverkehr-Systems sowie der Ausbau der Straße im Tschad bis zur Hauptstadt N’Djamena."

Den Mitarbeitern der "Nachbarschaft" kann solch ein Projekt nicht gleichgültig sein. Schließlich stand am Beginn des Nachbarschaftsprojekts vor 15 Jahren die Zusammenarbeit zwischen Schulen Gabuns, Kameruns und der Elfenbeinküste.

Beim Global Gateway-Programm wird positiv gesehen, dass die europäischen Interessen deutlich ausgesprochen werden. freilich wird auch kritisch angemerkt, dass noch nicht gesichert ist, dass es auch den Bewohnern vor Ort hilft und dass es zur nachhaltigen Entwicklung der Partnerländer beiträgt. 

Donnerstag, 18. Mai 2023

60 Jahre seit Gründung der Organisation für Afrikanische Einheit

 "Die Organisation für Afrikanische Einheit [...] war eine von 1963 bis 2002 bestehende Organisation fast aller afrikanischer Staaten. [...]

Auf der 30. Versammlung ihrer OAU-Regierungsrepräsentanten vom 13. bis 15. Juni 1994 in Tunis schöpften die Vertreter infolge des Endes der Apartheidsära in Südafrika Hoffnung, dass die Organisation nun eine wachsende Wirksamkeit auf dem afrikanischen Kontinent entfalten könne.[5] Südafrika nahm hier erstmals an einer OAU-Sitzung teil und wurde das 53. Mitglied. Das Land setzte sich auf diesem Wege aktiv zu Gunsten eines Vertrages für eine atomwaffenfreie Zone in Afrika (Vertrag von Pelindaba) ein.[6][7]

Mit dem Constitutive Act of the African Union vom 8. September 2000 war das Ende der OAU offiziell besiegelt. Die Sirte-Deklaration der OAU vom 9. September 1999 wies hierzu den Weg. Darin hieß es: „Establish an African Union in conformity with the ultimate objectives of the Charter of our Continental Organisation and the provisions of the Treaty establishing the African Economic Community.“ (deutsch etwa: Einrichtung einer Afrikanischen Union in Verbindung mit den Zielen der Charta unserer kontinentalen Organisation und den Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft.). Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi hatte zu diesem 4. Sondergipfel eingeladen, um die Effizienz der Organisation zu verbessern.[6](Organisation für Afrikanische EinheitWikipedia)


"Als Frantz Fanon, der Vordenker der antikolonialen Revolution, im Sommer 1960 durch Westafrika reist, blickt er voller Sorge auf den Kontinent – dabei ist es das große Jahr des Aufbruchs. Nicht weniger als 17 Kolonien südlich der Sahara erlangen 1960 ihre Unabhängigkeit. Doch Fanon sieht nicht Freiheit und Hoffnung. Er sieht nationale Bourgeoisien an der Macht, die Politik betreiben "wie ein Geschäft", die plündern und rauben. Die unzufriedenen Arbeiter, notiert er, "unterliegen einer ebenso erbarmungslosen Unterdrückung wie in den kolonialen Zeiten". [...]

Viele afrikanische Politiker sahen sich an die Peripherie der globalen Ordnung verbannt. "Isolation", schreibt der Hamburger Historiker Michael Pesek, "war das Schreckgespenst, das über manchem afrikanischen Präsidentenpalast hing." Die Regierenden wussten: Allein blieben sie machtlos. "Zu schwach und fragil waren die Staatlichkeit im Inneren und die Position auf den internationalen Bühnen." So begann die Suche nach Alliierten auf dem eigenen Kontinent.
Ghanas Präsident Kwame Nkrumah übernahm auch hier die Führung: Um 1960 wechselte er die Tonlage – vom Bass der nationalen Befreiung zu einem antiimperialistischen Tenor. Die vielen neuen Unabhängigkeitserklärungen boten in seinen Augen die Chance einer panafrikanischen Revolution. Nkrumah träumte von einer radikalen Umgestaltung des Kontinents, ja der globalen Nachkriegsordnung. 
 Mit seinem Führungsanspruch stieß er allerdings auch auf Widerstand – etwa des großen und bevölkerungsreichen Nigeria und vieler frankophoner Staaten. Streitpunkt Nummer eins war die Frage, wie weit sich Afrika von der europäischen Herrschaft lösen solle. So unterstützten etwa nicht alle den algerischen Befreiungskampf: Die Staaten, die auf französische Wirtschaftshilfe hofften, wollten sich lieber nicht mit dem mächtigen Patron in Paris anlegen. [...]
Die Republik Kongo war am 30. Juni 1960 von Belgien unabhängig geworden. Weniger als zwei Wochen später spaltete sich das Land: Die an Bodenschätzen reiche Provinz Katanga erklärte unter Moïse Tschombé ihre Eigenständigkeit – unterstützt von der früheren belgischen Kolonialmacht. [...] *
Afrika zerfiel infolge der Kongo-Krise in eine Vielzahl politischer Lager. Einige Länder standen fest aufseiten des Westens, Kenia und die Elfenbeinküste etwa. Andere, wie Guinea, lehnten sich an die Sowjetunion an. Wieder andere versuchten, sich alle Optionen offenzuhalten, und orientierten sich mal so, mal so, oder strebten, wie Julius Nyerere in Tansania, eine unabhängige, blockfreie Position an.
Diese ideologische Spaltung sei ein Hindernis für die Entwicklung des ganzen Kontinents, sie öffne dem Kalten Krieg Tür und Tor, klagten alsbald Politiker wie Félix Houphouët-Boigny (Elfenbeinküste) und Modibo Keïta (Mali), die zuvor noch heftig zerstritten waren. Ihre Aufrufe ebneten den Weg zur Gründung der Organisation für Afrikanische Einheit. Vor 60 Jahren, am 25. Mai 1963, begann in Addis Abeba die Gründungskonferenz. [...]
Wie auf dem Aufbruch von 1960 lasteten auf dem von 1963 schwere Hypotheken. Westlichen Beobachtern galt die in Addis Abeba tagende Organisation bald als bloßer "Diktatorenclub", der nicht in der Lage sei, Afrikas Probleme anzugehen. [...]
2002 wurde, maßgeblich auf Betreiben des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi, die Afrikanische Union (AU) als Nachfolgerin der OAU ins Leben gerufen. Sie soll, neben der Wahrung des Friedens, Afrika vor allem wirtschaftlich voranbringen. [...]
60 Jahre nach der Gründung der Organisation for African Unity sind die Fliehkräfte, die auf den Kontinent einwirken, so stark wie lange nicht. China und Russland bauen ihren Einfluss aus, und auch Europa hat erkannt, wie wichtig Afrikas Zukunft ist. [...]"
(Andreas EckertSie hatten einen Traum, ZEIT Nr.21 17.5.23, S.17)

* mehr dazu sieh: Rede des Lumumba 

Montag, 8. Mai 2023

Buchvorstellung: Afrika und die Entstehung der modernen Welt

 Howard W. FrenchAfrika und die Entstehung der modernen Welt

Verlagstext:

In dieser fesselnden Darstellung erkundet Howard W. French die zentrale, aber absichtlich vernachlässigte Rolle Afrikas und der Afrikaner bei der Entstehung von Wirtschaftssystemen und politischem Denken unserer modernen Welt. Souverän und aufrüttelnd zeigt der Autor, wie die tragische Beziehung zwischen Afrika und Europa, die im 15. Jahrhundert begann, unsere Moderne hervorbrachte.

Die Geschichte Afrikas ist lange in die entlegendsten Winkel unserer globalen Geschichte verbannt worden. Doch was ist, wenn wir statt dessen Afrika und die Afrikaner in den Mittelpunkt unseres Denkens über die Ursprünge der Moderne stellen? In einer mitreißenden Darstellung, die mehr als sechs Jahrhunderte umspannt, deutet Howard W. French die Erzählung vom mittelalterlichen und ins Licht der Geschichte tretenden Afrika grundlegend neu. Dabei zeigt er, wie der ökonomische Aufstieg Europas und die Verankerung der Demokratie im Westen ebenso wie die Durchsetzung der so genannten Ideale der Aufklärung aus Europas entmenschlichendem Umgang mit dem »schwarzen« Kontinent erwuchsen. In packenden Schilderungen spürt der Autor den Lebensläufen wichtiger afrikanischer Persönlichkeiten nach: von unvorstellbar reichen mittelalterlichen Kaisern, die mit dem Nahen Osten und darüber hinaus Handel trieben, über die Stammesfürsten des Kongo, die den europäischen Mächten im 17. Jahrhundert heldenhaft die Stirn boten, bis hin zu den ehemaligen Sklaven, die die Haitianer aus der Leibeigenschaft befreiten und dem Lauf der Geschichte eine andere Richtung gaben. Eine kraftvolle Neudeutung der Weltgeschichte, deren neues Verständnis unserer gemeinsamen Geschichte uns auffordert, sich dieser Vergangenheit zu stellen, um eine andere Zukunft gestalten zu können.

»Howard Frenchs Buch ist die unglaublich wichtige Neuerzählung einer Geschichte, von der Afrika und die Afrikaner lange bewusst ausgeschlossen wurden: Das Buch macht ihre Rolle als Hauptakteure bei der Entstehung der Moderne sichtbar – eine unentbehrliche Lektüre für alle, die sich für Weltgeschichte interessieren.« Amitav Ghosh, Autor von »Die Inseln« und der Ibis-Trilogie

Rezensionen bei Perlentaucher

LeseprobeDaraus: "[...] Nicht Europas Sehnsucht nach engeren Verbindungen mit Asien, wie so viele von uns in der Schule gelernt haben, stieß anfänglich das Zeitalter der Entdeckungen an, sondern vielmehr der jahrhundertealte Wunsch des Kontinents, Handelsbeziehungen zu sagenhaft reichen Schwarzen Gesellschaften zu knüpfen, die sich irgendwo im Herzen des »dunkelsten« Westafrika verbargen. Die berühmtesten Seefahrer der Iberischen Halbinsel sammelten ihre Erfahrungen nicht, während sie nach einem Seeweg nach Asien suchten, sondern vielmehr beim Erforschen der Küste Westafrikas. [...] Lange bevor er seine Expeditionen im Dienste Spaniens ausrüstete, hatte Kolumbus, ein Italiener aus Genua, mit dem Segelschiff Europas ersten großen befestigten Außenposten in Übersee – Elmina im heutigen Ghana – mit Lebensmitteln versorgt. Europas Expeditionen nach Westafrika in der Mitte des 15. Jahrhunderts waren damit verbunden, nach den Quellen des ungeheuren Goldreichtums dieser Region zu suchen. Und es war der gewaltige Handel mit diesem Edelmetall, das die Portugiesen 1471 entdeckt und sich durch den Bau des Forts in Elmina 1482 gesichert hatten, der da Gamas spätere Entdeckungsmission nach Asien mitfinanzierte. Der Goldregen ermöglichte es Lissabon, bis dahin ein kleines und mittelloses europäisches Königreich, seinen Nachbarn zuvorzukommen und den Lauf der Weltgeschichte radikal zu ändern. 

Bartolomeu Dias, ein weiterer regelmäßiger Besucher in Elmina, umrundete 1488 Afrikas Kap der Guten Hoffnung und bewies damit die Existenz eines Seewegs in den Indischen Ozean. Und doch gab es fast ein Jahrzehnt danach keinen einzigen Versuch, Asien auf diesem Weg zu erreichen – bis da Gama schließlich nach Kalikut segelte. Die Geschichtsforschung über diese Ära ikonischer Entdeckungen hüllt sich nicht nur über jenes Jahrzehnt, sondern auch über die fast drei Dekaden von der Ankunft der Portugiesen in Elmina bis zu ihrer Landung in Indien in tiefes Schweigen. Dabei wurden in diesem Moment, in dem Europa und das heute sogenannte subsaharische Afrika in einen dauerhaften intensiven Kontakt traten, die Fundamente des modernen Zeitalters gelegt. [...]"

Atlantischer Dreieckshandel (das Modell und die Kritik daran)

Freitag, 5. Mai 2023

Tsitsi Dangarembga: Schwarz und Frau

Interview


Das Thema Ihres neuen Buches „Schwarz und Frau. Reflexionen über die postkoloniale Gesellschaft“ sind die Ungleichheiten, die weltweit zwischen Männern und Frauen bestehen. Manche sagen, der Feminismus sei gescheitert.

Es ist richtig, dass schwarze Feministinnen eine kleine, oft bekämpfte Gruppe sind. Für Augenblicke der Bestätigung in ihrem Kampf um Gleichberechtigung müssen die Frauen hart kämpfen. Auch wenn die Mehrheit der Frauen weltweit durch patriarchale Strukturen marginalisiert wird, glaube ich nicht, dass der Feminismus gescheitert ist. Ich denke, was der Feminismus getan hat, ist, dass er eine Möglichkeit geschaffen hat, sich eine andere Welt vorzustellen. Die Vorstellungskraft ist die Quelle des Handelns, und weil wir uns eine andere Welt vorstellen können, können wir für sie handeln. Die Ideen des Feminismus reisen um die Welt, also denke ich, wir befinden uns in einem Prozess der Verbindung vieler Ideen, einschließlich feministischer. Viele junge farbige Frauen aus Afrika, auf dem Kontinent und außerhalb des Kontinents, vertreten selbstbewusst ihre Vorstellungen. Die Welt hat sich verändert, das Internet macht es einfacher, Ideen zu verbreiten, so dass feministisches Gedankengut viel leichter zirkulieren kann.

Sie schreiben in Ihrem Buch über ein erschütterndes Ereignis in Ihrem Leben: Kinder aus Simbabwe wurden nach England gebracht, wo sie in Pflegefamilien aufwuchsen. Das scheint System gehabt zu haben. Auch Sie und Ihr Bruder waren davon betroffen. Wie fühlen Sie sich dabei?

Als ich für das Buch recherchierte, dachte ich zunächst nicht daran, dass es System haben könnte. Es ging um Menschen, die aus Sicht des britischen Imperiums intelligent genug erschienen, zu studieren. Sie wurden nach England gebracht, um später für das Imperium nützlich sein zu können. So verlangte man von meinen Eltern, ihr Zuhause in Südrhodesien zu verlassen. Sie mussten nach London gehen, wo sie ein Stipendium für eine Ausbildung erhalten hatten. Meine Eltern gaben mich in eine Pflegefamilie, in der ich aufwuchs. Ich blieb in der Obhut dieser Menschen. Es war, als würde eine Guillotine auf mich fallen. Ich galt als „schwieriges Kind“. Als ich bei meiner Pflegefamilie lebte, erzählte mir meine Pflegemutter  immer von den anderen Kindern aus Afrika, die sie bereits aufgenommen hatte. Ich wusste also, dass so etwas passierte. Was ich aber nicht wusste, war, dass es ein System war, das vom Kolonialamt eingerichtet worden war, um bestimmte Menschen in den Kolonien zu besseren Interessensvertretern des Imperiums auszubilden. Das habe ich erst bei meinen Recherchen für das Buch herausgefunden. [...]

Der Kolonialismus hat meine Familie auseinandergerissen. Mein Bruder und ich haben aufgrund unserer Erfahrungen bis heute Trennungsängste. Das Zugehörigkeitsgefühl ist gestört, es ist sehr schwer, sich zu Hause zu fühlen, egal wo man ist. Es gibt immer etwas, das einen als untypisch kennzeichnet. Und das ist nicht die einfachste Situation, mit der man leben kann. Ich glaube, dass die meisten Menschen den Wunsch haben, zu einer Gruppe zu gehören, und deshalb ist es eine existenzielle Belastung, wenn man ein Zeichen trägt, das einen als nicht zugehörig kennzeichnet. Ich lebte in einer Gesellschaft, die mich als Mängelwesen konstruierte, als jemanden, der erst ein ganzer Mensch werden musste. Aber es war klar, dass ich diesen Status nie erreichen würde, weil ich einen schwarzen Körper habe. [...]

Die Kolonialzeit hat die Strukturen der Wirtschaft geschaffen, es ist wie ein geistiges Gebäude, das immer in dieser Wirtschaftslandschaft sein wird. Das globale System hat sich ja nicht wirklich geändert, denn wenn man sich China anschaut, dann produzieren die Chinesen im Grunde für diese Niedrigpreiswirtschaft des globalen Nordwestens. Ob sich das ändern wird oder nicht, bevor wir den Planeten komplett zerstören, ist eine offene Frage. Es gab früher Varianten kolonialer Gewalt, man verschleppte die Körper, um sie als Arbeitskräfte auszubeuten. Dann wurden die Rohstoffe ausgebeutet. Was wir jetzt erleben, ist der Braindrain: Das geistige Kapital wird den Ländern in Afrika entzogen. Zum Ressourcenabfluss aus Afrika kommt jetzt China hinzu. Der Überbau, der in der Kolonialzeit in die sozioökonomischen Systeme exportiert wurde, besteht heute weiter. Er ist einer der Gründe für die massive soziale Ungleichheit in den Ländern. Es gibt eine Art Mentalkolonisierung, von der schon Bob Marley sprach, eine Art mentaler Sklaverei. [...]"

("Es gibt eine Art mentaler Sklaverei", FR 27.4.2023)

Tsitsi DangarembgaSchwarz und Frau. Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft.

Rezension des Buches bei dem Kulturmagazin Perlentaucher:

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.2023

Rezensent Fridtjof Küchemann blieb die Luft weg, als er die drei Essays von Tsitsi Dangarembga las. Das liegt zum einen, schreibt der Rezensent, an der vortrefflichen Analyse der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Simbabwe unter Präsident Robert Mugabe, andererseits an den erschütternden Beschreibungen von Dangarembgas Kindheit in Großbritannien, der einstigen Kolonialmacht. Die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, die im vergangenen Herbst in Abwesenheit in ihrem Heimatland zu einer Gefängnisstrafe wegen Aufrührerei verurteilt wurde, weite in den Texten den Blick für die nach wie vor herrschende Politik von Ausgrenzung und Unterdrückung von People of Colour, findet der beeindruckte Küchemann: Dies mache  die Lektüre über den Status Quo von dekolonialistischem Engagement besonders interessant. Wie sich im Politischen das Persönliche spiegele sei selten so deutlich geworden, wie in diesem Buch.

Man kann einen Widerspruch darin sehen, dass beklagt wird, dass Kinder nach Europa gebracht wurden, während heute Flüchtlinge nach Europa wollen und sich darüber beklagen, wenn sie abgewiesen werden.
Andererseits ist beiden Situationen eins gemeinsam: es wird durch die Europäer, die Kolonisatoren, entschieden, und der Wille der Afrikaner wird missachtet.
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