So war mein erster Eindruck im Goethe-Institut Berlin am zweiten Tag meines Aufenthalts, anlässlich eines Sprachkurses letzten Sommer in Deutschland.
Ich wohne in Port-Gentil, einer Halbinsel in dem westlichen Teil Gabuns. Viele Gabuner glauben, dass Deutsch nur in Deutschland gesprochen wird. Als Deutschlehrer wusste ich ja schon, dass Deutsch in anderen Teilen Europas gesprochen wird. Aber, dass Deutsch so eine Menge aus der ganzen Welt anlocken konnte, war für mich eine echte Entdeckung. Als ich darüber überrascht war, dass Sprachkursteilnehmer auch aus Brasilien, Japan, oder Singapur kamen, staunte auch Irina, eine Russin, wieso es dazu kam, dass ein Schwarzafrikaner wie ich Deutsch kennt. „Mein Heimatland Kamerun gehörte zum Deutschen Reich vor 1919“, sagte ich ihr, was für die neugierigen KommilitonInnen der C. 1. 2 Stufe eine überraschende Nachricht war. In der Tat waren wir 12 in unserer Klasse und 10 Nationalitäten: Russland, Singapur, Kuba, Frankreich, Ägypten, Lybien, Saudi-Arabien, Australien, die Schweiz, Kamerun. Jeder sollte in einem Vortrag über eine Persönlichkeit seines Landes sprechen. Ich sprach also vom Sultan Njoya, König der Bamouns in Kamerun, der den schweren Wendeschock zwischen der deutschen Kolonialzeit und der französisch-britischen erlebte, was meine KommilitonInnen sehr spannend fanden.
Berlin: Multikulti
Wenn Sie durch die Straßen von Berlin gehen, ist es sehr einfach, einen Fremden durch seinen Akzent zu erkennen. In Berlin wohnen Leuten aus vielfältiger Herkunft, wie Türken, Italiener, Spanier, Asiaten, Russen, Afrikaner… Im Sommer gewinnt die Vielfältigkeit Berlins mehr Bedeutung. Die vielen Touristen aus benachbarten oder fernen Ländern sind leicht erkennbar durch ihren Fotoapparat oder den Stadtplan in Hand auf der Straße, in der U-Bahn oder an den berühmten Stellen wie Brandenburger Tor oder Berliner Mauer-Denkstätte. Das Bild der Multikulti in Berlin erkennt man auch an den Namen einiger Straßen wie die Französische Straße oder die Afrikanische Straße.
Die grüne Stadt
Was mir dann in Berlin aufgefallen ist, sind die systematisch gepflanzten und gepflegten Bäume entlang der Straßen. Eine sehr grüne Straße in Berlin heißt Unter den Linden am berühmten Alexanderplatz.
Wegen der vielen Bäume, Naturparks und Obstgärten kann man den Schluss ziehen, dass Ökologie für die Berliner wichtig ist. Außer den Naturparks, wo die Leute in sauberer Luft spazieren gehen können, findet man auch Privatgärten, wo man sich zu Hause in aller Stille ausruhen kann. Von dieser Omnipräsenz der Natur her verstand ich auch die Präsenz einer Grünen Partei in dem Deutschen Parlament.
Typisch die Deutschen!
Die Präzision in Deutschland ist für uns Afrikaner etwas sehr Erstaunliches. Das kann man schon an der Mülltrennung sehen: Zu Hause wie auf den öffentlichen Plätzen wird der Müll immer so getrennt, dass verderbliche Abfälle, Plastiktüten oder Glasflaschen nicht zusammen kommen dürfen. Bei Renate Giese, meiner Gastgeberin in Berlin musste ich diesen ersten „Deutschkurs“ lernen.
Bei den Verkehrsampeln hat die Präzision einen anderen Sinn. An der Kreuzung muss man immer warten, bis das grüne Licht den Fußgängern erlaubt, die Straße zu überqueren, auch wenn die Straße ganz leer ist. Eines Tages hatte ich es eilig und musste schnell zur nächsten U-Bahnstation laufen. Ich wartete an den Lampen neben einer alten Dame. Da kein Auto in der Nähe war, entschied ich mich, die Straße zu überqueren. Ich war noch nicht auf der anderen Seite, als die alte Dame hinter mir schrie, als hätte ich sie beleidigt: „Es ist noch rot, junger Mann!“
Zu Hause erzählte ich es den Gastgebern und Martin reagierte sofort: „Die Dame hatte Recht. Wenn ein Kind neben dir gewesen wäre, welches Beispiel hätte er gesehen?“ Ich sagte zu mir leise: „Typisch die Deutschen!“
Und sogar bei der Familienverwandtschaft muss man in Deutschland sehr präzis sein. In Afrika ist die Verwandtschaft so flexibel, dass ein Vetter, ein Neffe und sogar ein Nachbar im Dorf „mein Bruder“ genannt werden. In Bensheim, wo ich den zweiten Teil meines Aufenthalts bei der Familie Götz verbrachte, kam dies regelmäßig zur Sprache.
Als ich Désiré als „meinen Bruder“ vorstellte, fanden es Thomas und Uschi sehr amüsant und Thomas fragte: „Bruder im afrikanischen Sinne oder echter Bruder?“. In der Tat ist Désiré, der in Mannheim arbeitet ein ehemaliger Kommilitone der Universität und in meinem Dorf geboren.
Man sagt oft in Afrika, dass Europäer sehr egoistisch sind. Ich kam nicht ohne diese Vorstellung nach Berlin.
Ich hatte mein Apartment an der Etage mit Küche und Badzimmer und die Gastgeber waren am Erdgeschoss. Aber manchmal wurde ich von Renate zum Essen eingeladen und den Familienfreunden vorgestellt. Ich durfte auch bei ihnen Musik hören oder ihren Laptop benutzen. Mein erstes Konzert besuchte ich in Berlin dank ihrer Einladung. Als ich mich über ihr „afrikanisches Benehmen“ wunderte, nannte sie mir dieses Zitat: "Die Nähe ist der größte Feind des Vorurteils" (Moritz von Engelhardt).
Vorurteile abbauen
In Bensheim fand ich das Zitat wirklich authentisch. Schon in dem Regionalzug von Frankfurt nach Bensheim saß ich neben drei Jungen, die pausenlos in einem lokalen Dialekt plauderten und sehr laut lachten. Einer war dick mit nacktem Kopf und sah unfreundlich aus. Aber, das war nur ein Schein. Denn als der Zug in Bensheim hielt und ich meinen schweren Koffer nach oben tragen musste, fragte mich der dicke Junge: „Hilfe?“ Natürlich brauchte ich Hilfe und hatte nicht den Mut dazu, danach zu fragen. So half mir der Junge, meinen Koffer zu tragen, was ich nie vermutet hätte. Diese Offenheit kontrastierte mit der reservierten Haltung, die ich in Berliner Zügen bemerkte.
Uschi sagte mir: „In Großstädten sind Leute sehr reserviert, aber in Kleinstädten ist es oft das Gegenteil.“ In Bensheim konnte ich diese Offenheit wirklich ermessen: Ich fühlte mich zu Hause; die Nachbarn begrüßten mich. Ich nahm das Fahrrad und fuhr allein und ohne Angst in die Stadtmitte oder in die kleine Stadt Lorsch. Ich sprach oft mit sympathischen Leuten in der Kirche, im Konzert, in Kneipen oder beim berühmten Winzerfest. Ich wurde vom Journalisten Bernd nach Heppenheim eingeladen, wo ich die lokale Zeitung „Starkenburger Echo“ besichtigte. Ich besichtigte auch die berühmte Zahnarztfabrik in Bensheim dank der Einladung von Frank. Im Liebfrauenschule-Gymnasium tauschte ich mich mit sehr sympathischen Schülern und Lehrern aus. Ausflüge nach Frankfurt, Schwetzingen oder Mannheim mit Thomas und Uschi fand ich wunderbar. All diese Veranstaltungen reichten aus, mir ein anderes Bild Deutschlands zu verschaffen.
Die freie Bewegung
Nach vier Wochen in Deutschland fragte ich mich, wie die Polizei wirklich arbeitete. Doch sah ich ab und zu ein Polizeiauto, aber niemals eine Polizeikontrolle.
Am Bahnhof, als ich Fahrkarten für meine Reisen kaufen sollte, zeigte ich meinen Pass, aber den brauchte die Dame nicht. Die Fahrkarten der Deutsche Bahn sind anonym.
Sogar auf meiner Reise mit dem Auto nach Belgien konnte ich kaum glauben, dass wir schon in einem anderen Land waren, als wir Lüttich erreichten. Nicht die leiseste Polizei trafen wir auf dem Weg bis Brüssel. Bei uns erkennt ein Reisender eine neue Stadt oder ein neues Land an einer Reihe von Polizeisperren.
In Deutschland muss man selbst lernen.
Meine ersten Stunden in Berlin werde ich nie vergessen. Die Reise Libreville-Paris- Berlin dauerte insgesamt neun Stunden. Vom Flughafen Berlin-Tegel nahm ich zuerst einen Bus, dann die U-Bahn. In der U-Bahn folgte ich sorgfältig meinem Reiseplan. Der Zug hielt, wo ich aussteigen sollte. Ich stand auf, rollte meinen schweren Koffer zur Tür und wartete, dass die Tür sich automatisch öffnet, wie ich es vor zehn Jahren in Italien sah. Aber die Tür öffnete sich nicht und wahrscheinlich war ich der einzige, der an dieser Seite aussteigen wollte. Es war klar, dass ich aussteigen wollte, aber keiner neben mir reagierte, um mir zu helfen. Dann fuhr der Zug weiter. Erst danach bemerkte ich, dass der Fahrgast selbst den Türgriff drücken muss, um die Tür zu öffnen.
Bei uns benutzt man selten den Stadtplan. Der Fremde wird am Flughafen abgeholt und für die ersten Tage begleitet. Aber in Deutschland muss man selbst lernen. Trotz dem Stadtplan war mir die erste Woche sehr schwierig. Eines Abends nach dem ersten Sprachkurs verbrachte ich fast eine Stunde damit, das Haus wieder zu finden. Die Nummer des Hauses hatte ich vergessen und alle Häuser sahen ähnlich aus. Erst ab der zweiten Woche konnte ich mich wirklich frei orientieren. Aber ich sagte zu mir: Man lernt auch besser durch Schwierigkeiten.
Ich danke dem Goethe-Institut, der Deutschen Botschaft in Libreville, Herrn Frahm und Frau Gestrich, die mir diese allererste Gelegenheit geboten haben. Meine Dankbarkeit richtet sich auch an Martin und Renate Giese in Berlin, die Familie Götz, Walter Böhme in Bensheim und Vater Meinolf von Spee, damals in Belgien.
Evariste Fosong
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